Großes Aufsehen erregte das US-Magazin Quartz, als es eine Liste von 19 Marken veröffentlichte, die wohl wenige Konsumenten Amazon zugeordnet hätten. Darunter viele Fashion-Marken, die sich bislang eher unter dem Radar befanden. Für den deutschen Markt sind sie aber noch bedeutungslos. Das könnte sich ändern. Warum das so ist, zeigt ein genauer Blick auf die Eigenmarkenstrategie von Amazon.
Das Phänomen Amazon-Eigenmarken ist ja nicht gänzlich neu - auch wenn Amazon eigene Produkte in vielen Bereichen ohne mediale Begleitung , sozusagen „im Stillen“, eingeführt hat. Tatsache ist allerdings, dass der Konzern die Schlagzahl bei Einführung und Vermarktung der Eigenmarken zuletzt deutlich erhöht hat.
So zum Beispiel bei „Amazon Basics“. Seit 2009 bietet Amazon preissensible Bedarfsartikel mit geringer Markenloyalität unter diesem Namen günstig an. Die Eigenmarkenlinie fristete zunächst ein Nischendasein. Anfangs waren gerade einmal rund 20 einfache Computer- und Elektronikzubehörprodukte wie Batterien, Ladekabel und CD-Rohlinge im Angebot.
Elektronik an der Spitze
Inzwischen bietet Amazon auf dem Heimatmarkt USA knapp 2.000 Produkte der „Basics“-Linie an und erlöste damit im ersten Halbjahr 2017 mehr als 200 Millionen Dollar, wie das Marktforschungsunternehmen 1010data hochgerechnet hat.Im deutschen Amazon-Basics-Shop sind aktuell lediglich rund 640 Artikel gelistet. Doch Amazon macht Tempo: 300 sind seit 2015 neu dazugekommen. Unter "Amazon Basics“ werden inzwischen auch Hundetransportboxen und Handtücher angeboten. Batterien und Ladekabel sind aber immer noch die Topseller.
Das US-Online-Magazin Techcrunch hat in der vergangenen Woche ein Umsatz-Ranking der Amazon-Eigenmarken, basierend auf den Zahlen von 1010data, veröffentlicht. Auf Platz Eins steht „Amazon-Basics“, gefolgt von den Gadgets Echo (120 Millionen Dollar Umsatz im ersten Halbjahr 2017), Fire TV (110 Millionen Dollar) und Kindle (75 Millionen Dollar). Laut 1010data machen Echo, Kindle und Fire zusammen 55 Prozent der Amazon-Eigenmarken-Verkäufe aus.
Von solchen Umsatzmarken sind die „heimlichen“ Eigenmarken, die Amazon in den Bereichen Mode, Heimtextilien oder Möbel unter mehr oder weniger kreativen Namen anbietet, weit entfernt, obgleich einige von ihnen schon deutlich länger im Markt sind.

Immer neue Segmente, immer neue Marken
Spätestens 2004 begann Amazon damit, Marken zu begründen, die exklusiv über Amazon verkauft, aber nicht als Eigenmarken kenntlich gemacht werden. Unter den ersten waren Strathwood (mittel- bis hochpreisige Gartenmöbel) und Denali (Werkzeug). Nur eines dieser Private Labels, nämlich „Pinzon by Amazon“ (Heimtextilien) ist als solches erkennbar, bei den anderen fällt allenfalls der Hinweis „exklusiv für Prime-Mitglieder“ auf.Erst in den vergangenen vier bis fünf Jahren wurde das Eigenmarkenportfolio kategorieübergreifend ausgedehnt, zuletzt auch auf Mode, inwischen eine der am stärksten wachsenden Kategorien beim Onlinehändler. Neben der "Amazon Essentials"-Linie sollen Labels wie „James & Erin“, „Franklin & Freeman“, „Lark & Ro“ oder „Scout & Ro“ das Profil schärfen.
Mit welcher Schlagzahl Amazon in jüngster Zeit Eigenmarken auf den Markt wirft, beeindruckt. Ganz neu wurde Ende Juli „The Fix“ für Handtaschen und Schuhe eingeführt. Nur wenige dieser Marken (Beauty Bar, Pinzon, Small Parts, Strathwood) tauchen derzeit in Europa und im deutschsprachigen Raum auf - und das auch nur mit wenigen Produkten. Manchmal gibt es sogar nur einen Artikel. Ein Vorbote aus markenrechtlichen Gründen?

Auch in den USA wird aber nicht alles, was Amazon anfasst, zu Gold. So sind auch nicht alle Eigenmarken Selbstläufer. Für „Pinzon by Amazon“ hat 1010data für das erste Halbjahr 2017 ein Umsatzminus von 28 Prozent ermittelt.
Dennoch sollte man den Konzern aus Seattle niemals unterschätzen. Gerade bei den Modelinien mit den merkwürdig gleichförmigen Namen wird Amazon seine Vermarktungsmacht auszuspielen wissen. Amazon Prime Wardrobe, derzeit in USA im Test, bietet dafür ein ideales Instrument.
Amazon verkauft online neun von zehn Lautsprechern
Wie groß die Vermarktungsmacht des Konzerns tatsächlich ist, hat 1010data am Amazon Prime Day 2017 hochgerechnet: Zwar machten im ersten Halbjahr 2017 Eigenmarken nur 2 Prozent aller Amazon-Verkäufe aus. Aber die Zahl stieg am 11. Juli auf 12 Prozent.
Auf der Basis von Verbraucherdaten hatte sich das Datenanalyse-Unternehmen bereits 2016 intensiv mit Verkaufstrends in wichtigen Onlinekategorien beschäftigt, unter anderem Batterien und Lautsprecher.
Auch diese Studie dokumentiert Amazons Marktmacht: 89 Prozent aller US-Onlineverkäufe in der Kategorie Lautsprecher laufen über Amazon. Lautsprecher der Echo-Serie haben unter den Top-10-Marken bereits 45 Prozent Marktanteil (umsatzbasiert), der Echo selbst ist der online meistverkaufte Lautsprecher. Weltweit war der Echo Dot das am meisten verkaufte Produkt am Prime Day.
Noch beeindruckender ist Amazons Übermacht bei Batterien. Geschätzte 113 Millionen Dollar geben die Amerikaner online für Batterien aus. 94 Prozent aller Onlinekäufe in dieser Kategorie gehen über Amazon. Rund ein Drittel aller online gekauften Batterien entfallen auf Amazon Basics. Dabei haben die Amazon-Batterien eine Online-Konversionsrate von knapp 18 Prozent, während die durchschnittliche Quote in der Kategorie lediglich 9,8 Prozent aufweist.

Lebensmittel und Drogeriewaren im Visier
Und Amazons Eigenmarkenoffensive geht weiter: Der Konzern arbeitet derzeit mit Hochdruck daran, Kunden auch eigene Produkte für den täglichen Bedarf zu liefern. Parallel zu den entsprechenden Verkaufskonzepten (Amazon Fresh, Go, Sparabo) hat Amazon in den vergangenen zwölf Monaten eine ganze Reihe eigener Marken bei FMCG auf den Markt gebracht.
Seit Mitte 2016 können Prime-Kunden in den USA Amazon-Marken wie Happy Belly (Kaffee, Eier, Gewürze, Nüsse), Mama Bear (Babynahrung) oder Wickedly Prime (Snacks) bestellen. Auch ein Bio-Waschmittel unter der Marke „Presto“ ist mittlerweile im Programm. Auch hier gibt es für den Kunden keine Hinweise darauf, dass es sich um Amazon-Marken handelt. Bei der Anmeldung der Marken taucht der Name des Konzerns ebenfalls nicht auf. Preislich sind die Eigenmarken im mittleren bis oberen Segment angesiedelt.
Auch in Europa hat Amazon diese Marken bereits registriert. Denn während bei Mode der Fokus noch auf dem Heimatmarkt USA liegt, plant der Onlineriese im Bereich Lebensmittel und Drogeriewaren in Europa schon bald groß einzusteigen. Im hiesigen Handel gibt es diese Marken aber noch nicht. Nur eine Frage der Zeit?
Für Amazon wäre es ein No-Brainer: Europäische und deutsche Verbraucher lieben Eigenmarken noch mehr als die Amerikaner, die Marktanteile liegen bei FMCG häufig doppelt so hoch.
Drogeriemärkte müssen sich warm anziehen
Ende Mai berichtete die dann auch die Lebensmittelzeitung, dass Amazon bis zum Jahresende 2017 europaweit ein Basissortiment an Drogeriewaren-Eigenmarken aufbauen will. Dies kommt einer Kampfansage an hiesige Drogerieketten gleich, allen voran dm und Rossmann, die mit dem Eigenmarkenprinzip die Preise im Lebensmittel- und Drogeriegeschäft bestimmen.
Amazon hat hier junge Familien im Blick, die in ihrem Konsumverhalten ohnehin gut zum bereits etablierten Abo-Modell passen.
Welchen Namen die Amazon-Drogerieprodukte tragen werden, ist noch nicht bekannt. Ende 2014 startete Amazon in den USA die Haushaltsmarke „Amazon Elements“, zunächst für Babytücher und Windeln. Im Mai 2015 hat sich der Konzern diesen Namen auch für mehr als zwei Dutzend Foodkategorien (Milch, Müsli, Kaffee, Pasta, Wasser, Vitamine, Baby- und Hundenahrung) registrieren lassen, nutzt ihn aber neben Feuchttüchern bislang nur für Nahrungsergänzungsmittel.
Amazon soll hierzulande derzeit mit Herstellern verhandeln, die ihrerseits im Fall einer Kooperation mit Widerstand seitens der etablierten Ketten rechnen müssen. Lidl hat kürzlich angekündigt, Lieferanten von Amazon Fresh mit Auslistungen zu strafen.
Auch wenn sich die Amazon-Marke das Vertrauen, das dm und Rossmann in Deutschland genießen, erst erarbeiten muss: Unterschätzen sollten die etablierten Händler sie nicht – schließlich wächst auch bei Drogeriewaren der Onlineanteil stetig. Und auf dem Heimatmarkt kann Amazon im sensiblen Bereich Babybedarf durchaus Erfolge vorweisen.
Mit den Elements-Babytüchern hat sich das Unternehmen dort auf einen stolzen dritten Rang vorgekämpft. Und das, obwohl die Marke erst Ende 2014 eingeführt wurde und nur für Prime-Mitglieder bestellbar sind. Insgesamt 16 Prozent der 60-Milliarden-Dollar-schweren US-Onlineverkäufe von Babytüchern kann Amazon für sich verbuchen, nur übertroffen von Kategorieführer Huggies (33 Prozent) und Pampers (26 Prozent).
Eigenmarken: Chance und Risiko
Wie erfolgreich das Amazon-Experiment mit Drogerie-Eigenmarkten wird, bleibt angesichts der hiesigen Marktmacht von dm & Co abzuwarten. Fest steht: Sind die Eigenmarken gut, schärft dies auch das Image des Handelsunternehmens. Hier liegt allerdings auch das größte Risiko für den Onlineriesen.
Denn die deutschen Verbraucher sind bei den Eigenmarken des täglichen Bedarfs hohe Qualitätsstandards gewohnt. Flops wie in den USA kann sich der Onlinehändler aus Imagegründen hierzulande daher noch weniger erlauben. Im Heimatmarkt musste Amazon „Elements“-Windeln 2015 schon nach einem Monat wieder aus dem Sortiment nehmen. Kunden hatten sich über die minderwertige Qualität beschwert.Von solchen Rückschlägen wird sich Amazon allerdings kaum bremsen lassen. Wahrscheinlich ist, dass der Konzern eine so wichtige Produktkategorie nicht unbesetzt lassen wird und eigene Windeln zum Beispiel unter der Babynahrungsmarke „Mama Bear“ wieder auf den Markt bringen wird.
Bei der Eigenmarkenoffensive des Konzerns ist jedenfalls kein Ende in Sicht. Die Redakteure des Quartz-Magazins stießen bei ihrer Recherche im US-Markenregister neben den 19 bereits angebotenen Amazon-Marken auch auf zehn Markennamen, die Amazon beantragt oder bereits registriert hat, aber noch nicht nutzt.
MEHR ZUM THEMA: