Corona hat die Balance des Weltmarktes zerstört. Während deutsche Onlinehändler jetzt die Wucht der Krise spüren, können die Chinesen schon wieder loslegen. Das wird Auswirkungen auch auf deutsche Online-Marktplätze haben, sagen Experten vorher. Doch die Händler sind nicht chancenlos.
Doch die Umsätze im Januar 2020 haben alles übertroffen, was man beispielsweise von den Novembermonaten zuvor kennt. Im ersten Monat des Jahres hatte das Coronavirus China im Griff, das öffentliche Leben nicht nur in der Provinz Hubei (wo der Ursprung des Virus vermutet wird), sondern auch in der Megacity Shanghai stand still. Die Menschen waren in ihren Wohnungen gefangen - und kauften online ein.
"Ende Januar wurde es heftig"
"Ende Januar, zur Zeit des chinesischen Neujahrsfestes, wurde es dann heftig", sagt Daminan Maib, Gründer und Geschäftsführer von Genuine German, einem Unternehmen, das deutschen Herstellern und Händlern den Eintritt in den komplizierten chinesischen Markt ermöglicht. Maib arbeitet in Shanghai und hat nicht nur den Lockdown der Stadt mitbekommen, sondern auch die Wucht, mit der die Kunden sich auf den Onlinehandel gestürzt hatten. "Wir hatten im Hafen von Shenzhen Container mit Haushaltsreiniger und Desinfektionsmittel. Das war eine Lieferung für zwei Monate. Diesmal wurde alles innerhalb von zwei Tagen verkauft."Marktplätze dominieren das Geschäft
Chinas Onlinehandel ist nur schwer vergleichbar mit der deutschen Variante, alles geht irrsinnig schnell, das Geschäft läuft weniger über klassische Webshops, sondern stark über die Marktplätze wie von Alibaba und JD.com. Und wenn hierzulande zaghaft bei Instagram und Facebook Social-Media-Shopping erprobt wird, ist man 10.000 Kilometer weiter östlich schon um Jahre voraus. Facebook und Instagram sind in China geblockt, stattdessen ist hier unter anderem auch die Video-Plattform Tik Tok (die in China Douyin heißt) ein Verkaufskanal.
Sportartikel und Knabbernüsschen
Das erzwungene Cocooning der Chinesen, also das Einigeln daheim, sorgte für ein stark verändertes Kaufverhalten. Die Menschen entdeckten das Thema Gesundheit (daher die Nahrungsergänzungsmittel), sie kauften vermehrt aus dem Bereich Sport, wohl, um sich in den eigenen vier Wänden fit zu halten. Was auch bezeichnend ist für dauerhafte Heimeligkeit: Der führende chinesische Hersteller von Knabbernüssen hatte ein nie dagewesenes Absatzplus, sagt Onlineexperte Maib. Mittlerweile läuft das normale Leben in China wieder an, es wird produziert, sowie online und offline gehandelt. Die lange Zeit lahmgelegte Volkswirtschaft hat jetzt gut drei Monate Vorsprung - und das könnte auch für den deutschen Markt Folgen haben, glaubt Nils Zündorf. "Deutsche Händler sparen jetzt, sie wollen ihre Liquidität sichern. Also kaufen sie derzeit keine Ware mehr und fahren ihre Werbebudgets herunter", sagt der Geschäftsführer von factor-a, der nach eigenen Angaben größten europäischen Agentur, die Händler und Marken zu Auftritten und Werbung bei Amazon hilft.Tempo, Tempo - der Vorteil der Chinesen
Zündorf glaubt, dass deswegen auf den Internet-Marktplätzen Lücken entstehen werden, die dann von den wiedererstarkten Chinesen gefüllt werden. "Sie werden alle Marktplätze mit ihren Produkten fluten. Das gilt auch für die Kanäle Direct-to-consumer." Und hier soll die chinesische Art zu Handeln der Vorteil sein. Denn sie entwickeln in horrendem Tempo neue Produkte und werfen sie mit demselben Tempo auf den Markt. Motto: Wir gucken einfach mal, was sich durchsetzt. Marktforschung? Langfristig angelegte Businesspläne? Ach was: Tempo, Tempo.Noch haben die Deutschen einen Vorsprung
Bei diesem Feuerwerk aus Ware ist für die Konkurrenz aus China die moderne Plattformökonomie ein Paradies, ein riesiger Jahrmarkt. "Hier regiert ausschließlich der Produktfokus", beschreibt Zündorf das System. Image, Markenaufbau - alles egal. Ware ist hier alles. Und die Chinesen, so glaubt er, werden deswegen bald die Könige sein.Noch haben die Deutschen Vorsprung. Denn mögen die ersten Schiffe aus Asien wieder auf den Ozeanen unterwegs sein - bis sie in den Häfen Rotterdam oder Hamburg ankommen, dauert es. Zudem wartet auch viel Ware aus Hongkong auf die Abfertigung durch den deutschen Zoll. "Außerdem sind aktuell viele Kunden verunsichert, Ware aus Fernost zu bestellen", hat Nils Zündorf festgestellt. Doch in ein, zwei Monaten, wenn überall in Deutschland die Werbebudgets sinken, werden die Chinesen den Markt übernehmen, befürchtet er.
Keine Ausreden, bitte
Doch was sollen jetzt deutsche Händler machen, in einer Zeit, da viele erst das Internet entdecken oder mit ihrem bestehenden Webshop an Kapazitätsgrenzen geraten? Auf keinen Fall Kraft und Schnelligkeit der Chinesen als Ausrede benutzen, nichts zu tun können.
Mal Social Media ausprobieren
Das mag einfach klingen, wenn die Existenzangst das Tagesgeschäft lähmt. Aber nur zu hoffen, dass man sich mit Geld vom Staat durch die Krise schleppen kann, reicht nicht. Es muss weitergehen. Vielleicht ist jetzt auch Gelegenheit, neben dem klassischen Onlinehandel weitere Vertriebskanäle zu erforschen: Social-Media-Shopping. "Im Vergleich zu China ist Deutschland hier weit zurück", sagt Nils Zündorf. Dabei sind diejenigen, die etwa Instagram als Verkaufsplattform nutzen, gute Referenzen, dass sich so etwas lohnen kann. Plötzlich tut sich eben für Onlinehändler, vor allem für die unerfahrenen, ein Gebirge aus Herausforderungen auf, sodass alle merken: Das Internet ist eben nicht nur einfach ein anderer Verkaufskanal, sondern anderes Geschäftsmodell. Und wenn zwei Säulen nicht stabil sind, wackelt das ganze Haus: Beschaffungslogistik und Lieferlogistik.Die Schiffe sind wieder auf den Ozeanen unterwegs
Doch das Beschaffen von Waren ist in dieser Krisenzeit ein Problem, denn Lieferzeiten sind durch Grenzschließungen und Einschränkungen beim Zoll schlecht zu planen. Der Groß-Logistiker Kühne & Nagel bietet eine umfangreiche, wohl für die gesamte Branche geltende, Übersicht über die Lage bei allen Transportwegen. Wichtiger Satz: Der Seefrachtverkehr aus China läuft wieder fast normal, schwieriger ist es dagegen jetzt in Südasien (Philippinen).Damian Maib will nicht von einer bevorstehenden Warenflut aus dem Reich der Mitte reden, allenfalls der Elektronikmarkt könnte davon betroffen sein, glaubt er. "Die Chinesen produzieren immer mehr für sich selbst", sagt der Mann aus Shanghai. Made in China ist offenbar neuerdings ein Begriff, der es mit "Made in Germany" aufnehmen kann. "Die Qualität der einheimischen Produkte hat sich verbessert."
Von den Chinesen lernen
Diese Marktbeobachtung könnte die Stimmung deutscher Händler etwas aufhellen. Maib rät auch dazu, sich einiges von der chinesischen Konkurrenz abzuschauen - nicht alles, nicht dieses horrende Tempo, verbunden mit der Furchtlosigkeit, viel Geld zu verbrennen. "Aber Chinesen reagieren extrem schnell auf Trends." Und hier muss der deutsche Handel zulegen. "Es geht darum, eine Balance zu finden, zwischen dem chinesischen Try-and-Error-System und der übertriebenen deutschen Vorsicht", findet Maib.Es könnte also einen Versuch wert sein, sich jetzt ebenfalls mit Knabbernüsschen zu bevorraten.