Philosoph David Precht fordert 25% Steuern auf Online-Einkäufe. Doch nicht nur das findet Gerrit Heinemann, Leiter des eWeb Research Center der Hochschule Niederrhein und Mitglied im etailment Expertenrat, unsinnig. Es gibt Dinge rund um den Handel, die sind mindestens ebenso großer Quatsch.
Bei dem Bestseller Philosophen handelt es sich immerhin um David Precht, der es mit einer eigenen Sendung „Precht im ZDF“ nicht nur zu erstaunlicher Medienpräsenz, sondern mit seinen Büchern zu philosophischen oder gesellschaftspolitischen Themen zum Erfolgsautor gebracht hat.
Seine Werke erscheinen in vierzig Sprachen. Insofern ist er populär, war bisher aber nicht populistisch, was sich letzte Woche offensichtlich geändert hat. Andererseits ist der Schritt von populär zu populistisch nicht groß, denn die meisten Populisten arbeiten eher populärwissenschaftlich als „wissenschaftlich sauber“.
Insofern darf auch nicht verwundern, dass es bereits nach seiner ersten Sendung heftig Kritik hagelte: „Precht macht dumm“ hieß es etwas in "Die Zeit" und Maximilian Probst sah in Precht bereits einen „performativen Selbstwiderspruch“. Seine Forderungen stünden in Gegensatz zu seinem Verhalten und zudem würde an keinem Punkt nachgehakt oder tiefer hinterfragt.
Der Vorwurf der Oberflächlichkeit wurde noch getoppt von Spiegel-Autor Sebastian Hammelehle, nachdem das Precht-Gespräch mit Philosophie so viel zu tun habe wie „durchschnittliche bundesdeutsche Unterhaltung über die Bundesliga“.
Insofern passt die Steuer-Philosophie nach Precht ins Bild und sollte nicht verwundern, denn wenn sie zu lautem Aufschrei aus der Online-Szene führte, denn auch sie ist oberflächlich und ohne Tiefgang.
Das sollte nachgeholt werden, zumal die Politik auch zu populistischen Tendenzen neigt und im Bundestag offensichtlich viel Inkompetenz zu derartigen Themen herrscht und die Gefahr besteht, dass Politiker jetzt Prechts 25%-Steuer-Philosophie aufgreifen, um noch mehr Steuergelder abzugreifen. Drei Argumente dagegen:
Handel ist Wandel
Philosophie darf sich durchaus von der Realität entfernen. Ihr Grundanliegen ist das Streben nach Erkenntnis über den Sinn des Lebens, das Wesen der Welt und die Stellung des Menschen in der Welt. Um genau die geht es allerdings, denn auch Kunden sind Menschen und fast alle Menschen sind Kunden. Und Kunden stimmen mit den Füßen ab.
Diese Erkenntnis hatte schon Leonhard Tietz, als er 1879 sein erstes Geschäft und 1899 dann sein erstes Warenhaus eröffnete. Dieses wurde 1852 in Paris als „grand magasin“ gegründet und hatte bis zur Jahrhundertwende bereits „disruptiv“ viele der lokalen Händler in der Umgebung ausgelöscht: „Handel ist Wandel“ und das Wheel of Retailing dreht sich vor allem durch Aufkommen des Online-Handels vor 25 Jahren unentwegt weiter. Der Vorschlag, dieses aufzuhalten durch eine „25%-Online-Steuer“ ist zweifelsohne innovativ und kreativ, allerdings von gestern.
Denn etwas Ähnliches forderten bereits die kleinen Händler 1852 neben dem „grand magasin“, wie in Émil Zolas Roman „Das Paradies der Damen“ nachzulesen ist, und genützt hat es schlicht und ergreifend gar nichts."Keine Steuer dieser Welt wird das „Wheel of Retailing“ aufhalten können."
Denn keine Steuer dieser Welt wird das „Wheel of Retailing“ aufhalten können. Mit einem Vorurteil sei allerdings aufgeräumt: Der Online-Handel zerstört den stationären Handel, denn noch nie hat der stationäre Handel seit Gründung des Online-Handels in Deutschland Umsatzminus gemacht, zumindest nominal nicht.
Innenstädte erodieren nicht wegen des Online-Handels
Die Auswirkungen des Online-Handels auf den stationären Handel und damit die Innenstädte sind auf den ersten Blick offensichtlich. In den Top-City-Lagen, insbesondere in den Metropolkernen, halten Handelsketten und Immobilienentwickler jedoch auch weiterhin nach neuen Standorten Ausschau, die Miet- und Wertentwicklung dort verläuft nach wie vor überdurchschnittlich. Auch im letzten Jahr ist die Verkaufsfläche in Deutschland nicht zurückgegangen.Wo die Wege aus dem Umland weit sind und das Angebot in der zentralen Einkaufsstraße bereits heute überschaubar ist, wird es immer schwerer, Kunden anzulocken. Hier ist jedoch der Online-Handel nicht der so gerne vorgeschobene Verursacher, sondern eher der Katalysator für jahrelange Fehlentwicklungen der Kommunalpolitik. Viele Jahre war es gängig, den Lebensmittelhandel aus den Städten zu drängen und Fachmarkt- sowie Einkaufzentren in der Peripherie oder auf der grünen Wiese zu errichten.
Auch nach dem bisherigen Siegeszug des Online-Handels kommt dieser mit rund 11% Marktanteil noch immer nicht auf den Umsatzanteil der großen Shopping-Center außerhalb der Innenstädte, die rund 13% Marktanteil erreichen. Der Online-Handel macht zudem immer noch den meisten Umsatz aus der Substitution des ehemaligen Katalogversandhandels, der 1856 in Paris von Le Bon Marché gegründet wurde und in seiner Blütezeit Ende der sechziger Jahre auf fast ähnlich hohe Marktanteile wie heute der Online-Handel kam."In Klein- und Mittelstädten dagegen wird es zu weiteren Erosionen kommen."
Herrn Precht sei gesagt, dass der Katalogversandhandel auch eine Distanzhandelsform ist, die Kunden von zuhause aus tätigen.
Die Kunden und Wähler wollen es so
Kunden sind Wähler, die Parteien wählen, die Autos aus den Innenstädten drängen und es den Kunden wiederum immer schwieriger machen, in Innenstädte zum Einkaufen zu fahren. Warum auch? Halten wir fest: Kunden müssen physisch an ihre Lebensmittel und Waren kommen. Gibt es zu wenig ÖPNV – so wie Kunden in vielen Städten monieren – und vor allem dieselfreien ÖPVN, müssen Kunden in Shopping-Centern außerhalb von Städten einkaufen oder nach Hause liefern lassen. Dieses erfolgt bereits zunehmend in dieselfreien Elektro-Scootern und ist umweltfreundlicher als mit dem Auto in die Innenstadt zu fahren. Zudem können Kunden heute ihre Waren im Internet aussuchen, bevor sie gezielt in einen Laden gehen und müssen nicht stundenlang durch Innenstädte laufen oder von Stadt zu Stadt zu fahren, um Produkte zu vergleichen.Der Innenstadtbesuch ist aus Kundensicht in der Regel das Gegenteil von Faszination und Kommunikation, sondern überwiegend purer Stress. Das führt in der Tat zu weniger Frequenz in allen Städten und dazu, dass weniger Fußgängerzonen benötigt werden, wo zunehmend Läden leer stehen.
Deswegen sei die Frage erlaubt, warum Städte und Gemeinden vielfach immer noch dem Traum einer Shoppingstadt hinterherlaufen, statt Rückbau zu dringend benötigtem Wohnraum zu erlauben. Oder wie Herr Precht von einer heilen Welt zu träumen, die es so nicht gibt und noch nie gab. Lieber schönen Schlafstädte mit bezahlbaren Mieten statt hässliche Einkaufsstädte mit leerstehenden Läden und Wohnungsmangel, oder?
Mit Freunden lässt es sich auch in der Kneipe treffen, die leider auch ausstirbt, oder in der Shopping-Mall, die Kunden leicht mit ihrem teuer erworbenen VW-Diesel erreichen und wo es genügend Parkplätze gibt. Aber Philosophen dürfen realitätsfremd sein und auch mal träumen, so wie viel Stadtväter leider auch immer noch.
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