Die rasant wachsende Marktdynamik, der technologische Fortschritt und das unberechenbare Konsumentenverhalten erhöhen die Komplexität für Unternehmen. Die kluge Gegenstrategie: Nutzung von Daten. Wie aber stellt der Handel eine gute Datenqualität für eine wertschöpfende Nutzung sicher? Accenture-Geschäftsführer und Etailment-Experte Thomas Täuber nennt drei Elemente für den Erfolg.

Heutzutage ist die Welt ein integrierter Marktplatz, auf dem die Anzahl der Kontaktpunkte förmlich explodiert. Kunden können überall und jederzeit einkaufen und erwarten zudem einen immer differenzierteren Service durch ihre Händler. Nicht mehr das auswärtige Handelsgeschäft, sondern das eigene Zuhause wird dabei zunehmend zum Dreh- und Angelpunkt für den Einkauf. Intelligente Geräte und Dienste sowie smarte Onlinemodelle bilden neue Einkaufskanäle. Dadurch verändert sich die Rolle eines jeden Händlers.

Es geht nicht nur darum, Daten zu sammeln, sondern auch, aus ihnen zu lernen

Um in Zukunft überleben zu können, müssen Händler die Vorlieben, Bedürfnisse und Gewohnheiten ihrer Kunden kennen und ihnen maßgeschneiderte Angebote bieten. Das erfordert zugleich im eigenen Unternehmen, das Tempo zu beschleunigen sowie Reaktionsfähigkeit und Innovationskraft zu erhöhen.
Dafür ist es erforderlich, die richtigen Daten zu haben. Effektive unternehmerische Entscheidungen werden heute auf Basis umfassender Einblicke in Unternehmens-Datenströme und -Kennzahlen getroffen. Der Handel, in dem kundenspezifisch Massendaten in hoher Vielfalt und Geschwindigkeit generiert werden, ist dazu das perfekte Umfeld.
Von gekauften Produkten über die Zahlungsmodalitäten bis hin zu den Kauftrends und ihren Entscheidungsfaktoren hinsichtlich Preis, Qualität und Zugänglichkeit gibt es eine enorme Menge an Daten, aus denen der Handel lernen kann. Die Dimension zeigt sich am Beispiel von Walmart - hier werden allein aus Kundentransaktionen 2,5 Petabyte Daten pro Stunde generiert.

"Walmart generiert allein aus Kundentransaktionen 2,5 Petabyte Daten. Pro Stunde."

Händler brauchen idealerweise Echtzeiterkenntnisse aus der gesamten Wertschöpfungskette: sprich, Kundeninformationen über die Kanalnutzung, das Einkaufsverhalten, die Nutzung von Zahlungs- und Lieferdiensten sowie Daten der Ökosystempartner.
Häufig ist es schwierig, die Daten zu einem konsistenten, ganzheitlichen Bild zu konsolidieren und die relevanten Informationen für unternehmerische Entscheidungen bereitzustellen. Die Datenzuverlässigkeit kann überschätzt werden, wenn aufgrund mangelnder Informationen die noch ungenauen und manipulierten Informationen zu vermeintlichen Erkenntnissen komprimiert werden. Diese Ungenauigkeiten entstehen vor allem dann, wenn Daten unterschiedlich und manuell erfasst werden.

80% der Unternehmen, die Accenture im Rahmen einer Studie befragt hatte, befassten sich mit der digitalen Veränderung und stellten dabei fest, dass in Bezug auf Daten ihr Backoffice nicht mit dem Frontoffice Schritt halten kann. Das Frontoffice benötigt Daten, um schneller und besser entscheiden zu können - das Backoffice kann diese Daten jedoch nicht bereitstellen.

Während über die Hälfte der Händler Daten als einen der Kernbestandteile ihrer Digitalstrategie angeben, werden global aktuell nur 3% der Daten aus dem Handel genutzt. Eine schlechte Datenqualität kostet den Unternehmen Millionen US Dollar jährlich – zum einen, weil fehlerhafte oder fehlende Daten die Entscheidungsfindung beinträchtigen.
Zum anderen, weil Unternehmen häufig auf kostspielige Workarounds zurückgreifen müssen, um Korrekturen für qualitativ schlechte Daten durchzuführen. Der potenzielle Schaden, den Handelsunternehmen durch fehlerhafte Daten und Entscheidungen tragen, wirkt sich hierbei nachteilig auf die Effizienz und das angestrebte Wachstum aus und bedroht heutzutage die Existenz des Unternehmens.

Die Datenpower eines Unternehmens ist sein wichtigstes Vermögen

Obwohl Daten selten perfekt sind, gilt heute anders als in der Vergangenheit eine hohe Datenqualität als wichtigstes Unternehmensvermögen. Die „Datenpower“ eines Unternehmens ist die neue „Währung“ des digitalen Wandels: sie spiegelt die Geschwindigkeit der Geschäftsentwicklung, die Innovation und die marktgerechte Veränderung eines Händlers wider.

Wie können Unternehmen nun eine solide Datenqualität sicherstellen und das Daten-Qualitätsmanagement als festen Bestandteil im Geschäftsprozess verankern?
Und wie wirken Händler trotz des steigenden Datenvolumens der Inkonsistenz im Datendschungel entgegen?

Aus unserer Sicht sind drei Elemente entscheidend für den Erfolg:

1.    Zielsetzung und Daten-Strategie

Folgend dem „Big Data Hype“ haben viele Händler in den letzten zehn Jahren große Mengen an Daten angesammelt mit der Überzeugung, dass sie später etwas damit anfangen können. Nun sehen sich einige von ihnen im Besitz von einem großen und kostspieligen Data Warehouse – und wissen nicht genau, wie sie es sinnvoll nutzen sollen. Diese Beispiele zeigen: Bevor Händler erst mit dem Datensammeln beginnen, sollten sie konkrete Use Cases identifizieren und anhand von Geschäftsnutzen und technischer Machbarkeit priorisieren.

Nachdem klar ist, wofür die Daten angewendet werden sollen, sollte im nächsten Schritt das Daten-Konzept ausgearbeitet werden.

  • Welche Typen von Daten werden benötigt?
  • Welcher Qualitätsgrad ist erforderlich?
  • In welchen Unternehmensbereichen sollen diese Daten beschaffen und angewendet werden?
  • Wo bestehen Synergien?
  • Anhand welcher KPIs wird die Datenqualität ausgewertet?

Abschließend kann basierend auf dieser strategischen Segmentation und Analyse der Business Case berechnet werden. Dank der Transparenz hinsichtlich Kosten, Machbarkeit und Nutzen können Unternehmen eine agile Roadmap für ihre „Big Data“ Strategie befolgen und schlank mit MVPs (Minimum Viable Product) anfangen, statt direkt ein epochales Millionenprojekt aufzusetzen.

Leere auf dem Bildschirm: Wenn Kundendaten in Silos landen, erreichen Anfragen den zuständigen Ansprechpartner erst gar nicht.
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Technologie

Wie Onlinehändler Datensilos vermeiden

Durch den kontinuierlichen Lernprozess sind Sie in der Lage, schnellere und effektivere Lösungen umzusetzen.

2.    Daten-Qualitätsmanagement-Prozess

Die Kernprobleme des Datendilemmas beginnen bereits in der schlechten Datenerfassung. Diese unterliegt zumeist einer unzureichenden Qualitätsprüfung und mangelnder Systemintegration. Darüber hinaus führen Fehler bei der Datenbankeinrichtung und beim Speichervorgang zu unbrauchbaren oder nicht übereinstimmenden Daten.

Händler müssen das Risiko einer unzureichenden Datenqualität jedoch nicht in Kauf nehmen. Sie sollten sich an drei wichtige Grundsätze halten, um das Vertrauen in die Daten sicherzustellen:

  • Daten müssen über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg zentral erfasst, kontinuierlich und routinemäßig validiert und bereinigt werden
  • Datensätze müssen in ihrem zu verwendenden Kontext abgeglichen und inhärente Konflikte gelöst werden  
  • Die Integrität, Sicherung und Pflege von Daten sowie die Korrektheit und Verfügbarkeit ist auf Dauer zu gewährleisten
Die Methoden und Werkzeuge, die erforderlich sind, um dieses Vertrauen aufzubauen, sind frei verfügbar. Fehlerhafte Daten in einem System sind ein einfaches Zeichen dafür, dass ein Erfassungsprozess nicht wie beabsichtigt funktioniert. Das Identifizieren dieser Prozesse ist somit der Ausgangspunkt. Wenn die Qualität der wesentlichen Daten akzeptabel ist, besteht der zweite Schritt darin, diesen Datenqualitätsstandard zu halten und zu verhindern, dass künftig Probleme auftreten.

Machine Learning und Algorithmen für eine bessere Datenqualität

Heute können neue KI-Techniken wie „Machine Learning“ eingesetzt werden, um die Datenqualität automatisch zu analysieren und Fehler bereits bei der Datenerzeugung zu identifizieren. Um beispielsweise nur eine einziges zentrales Kundenprofil zu erstellen, können Fehler bereits bei der Eingabe ungewöhnlicher Adressen, Telefonnummern, E-Mail-Adressen u.ä. vermieden sowie Daten auf ihre Übereinstimmung und Duplikate hin automatisch geprüft werden.

Dazu werden Algorithmen definiert, die relevante Kundeninformationen aus internen Quellen automatisch extrahieren und mit Informationen aus öffentlichen Datenquellen anreichern oder abgleichen. Mit Hilfe von Machine Learning können große Datenvolumina effizient verwaltet und erweitert werden sowie die Kosten für manuelle Qualitätsverbesserung reduziert werden.

Machine Learning Basics



3.    Data Operating Model und Workforce

Das dritte entscheidende Erfolgselement ist das „Data Operating Model“. Die Einführung eines Daten-Managements und die Transformation zum daten-getriebenen Unternehmen erfordern auch eine Umstellung in der Organisation. Unternehmensentscheider sollten klare „Owner“ innerhalb ihres Data-Teams definieren, die unter anderem für Bereiche wie Daten-Strategie, Daten-Qualitäts-Management, Data Engineering und Daten-Analyse zuständig sind.

Darüber hinaus müssen Kontaktstellen geschaffen werden, über die Data-Team mit dem Rest der Organisation interagiert. Es ist zudem essentiell, nicht nur neue Daten-Experten einzustellen – sondern auch die Linien-Organisation, insbesondere das Management, im Hinblick auf den strategischen und operativen Umgang mit Daten weiterzubilden.

Fazit: Datenqualität als Rückgrat der Unternehmung betrachten

Viele Händler stürzen sich heute auf neue Technologien automatisierter Datenanalyse. Die Intention liegt vor allem darin, Datenmuster automatisch zu erkennen, die beispielweise aufzeigen, wie durch gezielte Aktionen noch kurzfristig eine EBIT-Steigerung erzielt werden kann, welche Kunden- und Produktgruppen profitabel sind oder welche Marketinginvestitionen die Marge reduzieren. Darüber hinaus ist es sogar möglich, Produkttrends auf dem Markt automatisch zu erkennen, um für das Category Management die Sortimentsbildung zu unterstützen.

Um diese und weitere Anwendungen erfolgreich zu adressieren und Daten wertstiftend einzusetzen, sind eine klare Daten-Strategie, ein dediziertes Team und Operationsmodell sowie entsprechende Prozesse zum Daten-Qualitätsmanagement von entscheidender Bedeutung. Wir sehen erste Erfolgsbeispiele wie Amazon oder Walmart am Markt. Die meisten Handelsunternehmen in Deutschland befinden sich jedoch am Anfang und sollten bereits heute in die Planung und Umsetzung ihrer Daten-Strategie investieren, um sich dadurch langfristig Wettbewerbsvorteile zu sichern.

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