Kanäle und Kundenverhalten ändern sich – für Händler zieht das in vielen Bereichen einen Verlust ihrer Rolle als Vermittler zwischen Herstellern und Endkunden nach sich. Denn Marken bauen vermehrt direkte Kundenbeziehungen auf. Auf den ersten Blick mag das für den Handel bedrohlich wirken, auf den zweiten bietet sich enormes Potenzial, Kunden über Aftersales mit passenden Services oder Produkten anzusprechen. Dafür sollten Händler allerdings jetzt aktiv werden, sagt Etailment-Experte Steven Bailey.
Schauen wir uns das Ganze am Beispiel eines Haushaltswarenhändlers an: Früher waren die Rollen klar verteilt. Der Händler fungierte als Touchpoint zu den Endkundinnen und Endkunden, war Ansprechpartner und Berater, Informationsquelle und Vermittler – und natürlich Verkäufer von Haushaltsprodukten verschiedener Hersteller. Hier stand der Service im Fokus, im Ladengeschäft und später auch online. Der Händler kannte die Wünsche und Bedürfnisse der Kundschaft und fand entsprechende Lösungen für ihre Probleme.
Mittlerweile, und das ist eine Entwicklung, die die mit der Covid-19-Pandemie einhergehende Beschleunigung der Digitalisierung verstärkt hat, ist es für viele Kunden wichtig, ihre Probleme selbstständig zu lösen, Käufe direkt und schnell online abzuschließen. Marken und Hersteller haben darauf reagiert und sich angepasst: Sie weiten ihr Geschäft von B2B auf B2C aus, stehen nicht mehr nur mit den Händlern, sondern auch direkt mit den Verbraucherinnen und Verbrauchern in Kontakt und sprechen diese selbst gezielt mit Angeboten an.

Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch in anderen Bereichen beobachten, beispielsweise in der Automotive-Branche mit dem Electrified Car und mit Apps wie My BMW, We Connect von VW, MyKIA oder MyT von Toyota.
Als Händler am Ball bleiben: Daten als Schlüssel für Aftersales
Die Bedeutung der Händler mag sich an dieser Stelle verändern, die Butter komplett vom Brot nehmen lassen müssen sie sich aber nicht. Wichtig ist es nun, sich möglichst schnell einen neuen USP zu schaffen. Die Grundlage hierfür: Daten. Denn in den vorhandenen und entstehenden Datenbanken liegt für den Handel sehr viel Potenzial – sofern diese richtig ausgewertet und genutzt werden.
Aber was heißt Datenauswertung für Aftersales konkret – und wie kann ein kundenzentrierter Ansatz dafür aussehen?
Ein solcher Kundenaccount, der nicht nur Basisdaten wie Namen, Anschriften oder Bankverbindungen umfasst, sondern Zugriff auf alle notwendigen Features bietet, ermöglicht es Händlern, unterschiedlichste Daten auszuwerten und so einen besseren Einblick in Kundensegmente zu erhalten, zum Beispiel nach Region, Produkt, Verhalten, Nachfrage über Zeitachse.
Unser Haushaltswarenhändler beispielsweise mag nach einem Waschmaschinenverkauf vielleicht nicht mehr automatisch Ansprechpartner für Ersatzteile oder Zubehör sein, weil die Kunden solche Angelegenheit über eine App direkt mit dem Hersteller regeln. Schaltet sich der Händler aber beispielsweise von vorneherein mit seinen Services in das Plattformsystem ein, an das auch die App angeschlossen ist, kann er sich wieder ins Spiel bringen.
So kann eine Datenauswertung Händlern Informationen für Aftersales-Kampagnen liefern, aus denen etwa individuelle Up- und Crossselling-Angebote zu einzelnen Produkten oder aber ganz neue Ideen für Services oder Angebote generiert werden können. Wichtig dabei: aus Kundensicht zu denken, Kundenprobleme vorhersehen und passende Lösungen parat haben. Hier helfen die passenden Analysetools und -methoden.
Mögliche Anwendungsfelder:
- passendes Zubehör oder Erweiterungen zu getätigten Käufen anbieten;
- zeitlich abgestimmte Reminder zu Wartungsterminen oder für Austausch von Verbrauchs- und Verschleißteilen wie Filtern, Patronen, Dichtungen etc., inklusiver entsprechender Angebote;
- Abonnements für Verbrauchs-/Verschleißteile anbieten;
- Analyse meistgekaufter Marken, Geräte oder Gerätegruppen, um daraus Schlüsse für Sortimentsentscheidungen abzuleiten.
Solche Szenarien sind natürlich für verschiedenste Bereiche denkbar und in unterschiedlicher Form auch schon in Umsetzung, beispielsweise in Form von Apps von Supermärkten wie Rewe oder Lidl, Apotheken-Apps oder dem Dash-Button von Amazon, der mittlerweile nur noch als Virtual Button verfügbar ist.
Nun ist die Entwicklung nicht in allen Branchen so weit wie in diesen Beispielen und das Potenzial unterschiedlich. Dennoch lohnt es sich für Händler aller Bereiche, den Markt schon jetzt genau zu beobachten und sich für mögliche Innovationen zu positionieren, um Chancen kurzfristig nutzen zu können.
Denn gerade die Pandemie und die Energiekrise haben in den vergangenen Jahren gezeigt, wie wichtig es ist, zeitnah auf veränderte Marktanforderungen reagieren zu können. Nun haben Händler natürlich auch keine Glaskugel in der Schublade. Die strukturierte Auswertung von Kundendaten macht es ihnen aber immerhin möglich, vorhersehbare Trends abzuleiten und Informationen zu gewinnen – und daraus Services oder Angebote zu generieren, die Kundinnen und Kunden echten Mehrwert liefern.
Dafür braucht es vor allem die passende technologische Grundlage: eine ganzheitliche Plattformlösung mit passenden Schnittstellen, die alle relevanten Datenquellen integriert. Dazu gehören etwa CRM, ERP, WMS sowie Shop- und Produktdaten, außerdem ein gutes Cybersecurity- und Datenschutzkonzept – und natürlich Offenheit für neue Businessmodelle und Kooperationen.