Der Onlinehandel delegiert wesentliche Arbeiten im Einkaufsprozess an die Kunden und erreicht so enorme Effizienz- und Skalierungsvorteile gegenüber stationären Händlern. Deshalb darf nicht verwundern, dass diese jetzt mit automatischen Supermärkten zum Gegenschlag ausholen, sagt Etailment-Experte Professor Gerrit Heinemann. In diesem Beitrag gibt er einen Überblick über aktuelle Entwicklungen bei den "smarten" Supermärkten in Deutschland, sagt, wo die größten Herausforderungen für die neuen Formate liegen und warum das Experimentieren damit dennoch lohnt.
Aus Sorge, zu viel zu kaufen und dann an der Kasse zu wenig Geld dabei zu haben, beluden die Kunden ihre Einkaufswagen zunächst nur zögerlich. Dementsprechend gab es Anfang der 50iger-Jahre gerade einmal 39 Geschäfte mit Selbstbedienung. Erst die Zeit des westdeutschen "Wirtschaftswunders" wandelte die Innovation Selbstbedienung zu einer Revolution, die bis heute anhält.

Die nächste logische Evolutionsstufe
Der Onlinehandel ist deren logische Konsequenz als höchste Evolutionsstufe. Denn während in den SB-Läden immer noch Personal an den Kassen sitzt und Mitarbeiter während der Öffnungszeit Waren in die Regale stopfen, kauft der Onlinekunde ganz alleine zu Zeiten ein, wo die meisten Läden geschlossen haben, und schließt den Kauf im Self-Check-out ab.Die nach wissenschaftlicher Formulierung sogenannte "Integration des externen Faktors" – also die Delegation sämtlicher Einkaufsarbeiten der Onlinehändler an ihre Kunden, schafft enorme Effizienz- und Skalierungsvorteile, die den stationären Handel zusehends ins Hintertreffen geraten lassen. Insofern darf nicht verwundern, dass jetzt auch die stationären Händler mit automatischen Supermärkten zum Gegenschlag ausholen. Vorläufer waren auch diesmal die Amerikaner und dabei der Online-Pionier Amazon mit seinem Amazon-Go-Format an der 7th Avenue in Seattle, der Ende 2016 eröffnet wurde.
Deutsche Händler ziehen nach
Endlich kommen jetzt auch die deutschen Händler um die Ecke. So hat Aldi zunächst in London einen Versuch mit einem Markt ohne Kassenpersonal gestartet. Und die Schwarz-Gruppe hat Entwicklungsprojekte zu Mini-Shops begonnen ("Shop Box" und "Collect Box").In Köln testet Rewe den "europaweit ersten autonom fahrenden Kiosk" auf einem Gewerbe-Campus und hat auch "Pick+Go"-Märkte mit bis zu 1.500 Artikeln. Edeka hat sich schon an automatisierten Tiny-Stores probiert und testet mit der "Smart Box" seit Anfang Juli den ersten Minisupermarkt ohne Personal in Hohwacht an der Ostsee.

Teo: Vollversorgung auf 50 Quadratmetern
"Tegut teo" ist ein Kleinflächen-Konzept, bei dem auf 50 Quadratmetern 950 Artikel angeboten werden. Obwohl ein gewöhnlicher Supermarkt mit mehr als 20.000 Artikeln aufwartet, soll in den Mini-Märkten eine Vollversorgung geboten werden. Dennoch bleibt die Auswahl in den Produkt-Kategorien überschaubar und die Preise gehen auch eher in Richtung Tankstellen-Niveau.
Selbstbedienungsläden kennt man bisher eher aus der Schweiz, etwa vom Handelskonzern Migros, zu dem Tegut gehört. Dass Tegut in den "Teos" auf Personal verzichtet, ist folgerichtig. Kassenpersonal verursacht die größten Kosten im stationären Handel. Deswegen macht es Sinn, in die Automatisierung zu gehen.
Je kleinflächiger das Konzept, desto geringer die Rentabilität
Das Teo-Modell bietet sich aber wohl eher in Städten als auf dem Lande an. Es gibt sicher auch Bedarf in ländlichen Regionen. Aber dort muss der Händler für relativ wenige Artikel weite Distanzen beim Liefern überbrücken. Die Logistikkosten werden vielen dieser Läden einen Strich durch die Rechnung machen.Dieses Problem wird die größte Herausforderung für solche Konzepte. Tegut bestätigt, dass das Warensortiment täglich aufgefüllt werden muss. Erfahrungen im Handel zeigen allerdings: je kleinflächiger das Format, desto weniger rentabel. Es muss sich ja rechnen. Insofern ist dieses Konzept betriebswirtschaftlich gesehen wohl eher Kleckerkram, weil damit nicht die nötigen Umsätze erzielt werden können, um ein großes Handelsunternehmen erfolgreich in die Zukunft zu führen.
Man braucht Dutzende dieser Läden, um den Umsatz eines normalen Supermarkts zu machen. Zumal ein durchschnittlicher Einkauf dort wahrscheinlich unter zehn Euro liegt, weil Kunden nur Kleinigkeiten kaufen. Aber es ist zumindest einen Versuch wert, das Konzept in größerem Maßstab zu testen.
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