Wenn Oma erstmals in ihrem Leben skypt oder sich online Tabletten kauft, dann wird sie merken, wie komfortabel beides ist. Warum sollte sie darauf verzichten, wenn das Leben irgendwann in einen geordneten Nach-Corona-Modus geschaltet wird? Es gibt dafür keinen Grund, schreibt der ehemalige Media-Markt-Saturn-Chef Wolfgang Kirsch. Diese Krise wird vor allem eines verhindern: Die Rückkehr zur gewohnten Normalität.

Aktuell dreht sich bei den Diskussionen um den Handel noch vieles darum, wie man die Krise und das Wiederhochfahren in den Griff bekommen (Stichwort: 800 Quadratmeter Verkaufsfläche) kann. Viel wichtiger ist aus meiner Sicht aber, dass Händler und Hersteller sich auf das neue Normal vorbereiten – denn sonst könnte es passieren, dass der Handel nach dem Hochfahren schneller abstürzt als Windows zu seinen schlimmsten Zeiten. 


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In den vergangenen Wochen habe ich mit vielen Händlern und Herstellern darüber gesprochen, was sie nach der Krise erwartet. Und ich habe dabei immer versucht, deutlich zu sein. Denn ich bin sicher, dass diejenigen, die sich eine Rückkehr zur heutigen Normalität erhoffen, ziemlich daneben liegen werden. 

Die Oma wird digital

Nehmen wir als Beispiel den Handel mit Consumer Electronics – da kenne ich mich ganz gut aus. Ich glaube nicht, dass während der Krise extrem viel Elektronik verkauft wurde, insbesondere keine Fernseher oder weiße Ware. Insofern ist die Marktanteilsverschiebung während der Krise gar nicht das Problem. Herausfordernder hingegen sind die neuen Konsum- und Lebensgewohnheiten. Selbst die Oma hat während der Krise geskypt oder online eingekauft – wieso sollte sie es nachher also nicht weiterhin tun? 

In den vergangenen Jahren ist der Onlineanteil am Markt für Consumer Electronics in Deutschland grob um ein Prozent pro Jahr gestiegen – auf etwa 25% in 2019. Ich bin sicher, dass er durch Corona 2020 nun nicht auf 26% steigt, sondern auf über 30%. Und es dann von dort aus weitergeht.

Wer seine Hausaufgaben nicht gemacht hat, bekommt Probleme

Für traditionelle Händler müsste das eigentlich kein Schaden sein. Sie werden vielfach die erste Onlineanlaufstelle für ihre bisherigen stationären Kunden sein. Baumarktkunden, die sonst im Obi kaufen, schauen nun bei obi.de. Kunden der Intersport-Läden schauen auf der Webseite ihres lokalen Sportladens oder auf intersport.de. Das Problem: Viele haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Die Kunden finden im Webshop daher vorsintflutliche Usability und ein Mini-Sortiment. Sie landen zwangsläufig bei Amazon – und sind für den traditionellen Händler verloren. 


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Parallel werden die Unzulänglichkeiten bei den klassischen Händlern die Hersteller enttäuschen. Sie können gar nicht anders, als ihre eigenen Handelsaktivitäten auszubauen. Denn sie lernen nun, dass die Abhängigkeit von verschlafenen Handelsunternehmen in so einer Krise die Abhängigkeit von Amazon verstärkt – und dass man diesem Problem hätte vorbeugen können, siehe Apple mit ihrem Apple Store, online und stationär. 

Die Zeit der "Kümmerer"

Das alles ist nicht neu (Mein Wunsch für 2020: Nicht immer dieselben Fehler wiederholenChannel Partner: Die Grundstrategie war richtigKassenzone:Wie schätzt der ehemalige Mediamarkt Chef die Chancen des stationären Handels ein?). Es beschleunigt sich aber jetzt – und wer schon vorher geschwommen ist, der wird es nun schwer haben, sich über Wasser zu halten. Ich glaube daran, dass es im Handel in Zukunft drei erfolgreiche Segmente geben kann:

Erstens, der reine Onlinehandel – immer, wenn es um Auswahl und Preis geht. Zweitens, Hersteller als Händler, die Online- und einige Flagshipstores eröffnen und die Marge des Handels dann dafür nutzen, dem Kunden wirklich tolle Erlebnisse zu liefern. Und drittens, wirklich gute Multichannel-Händler, die das sind, was ich bei Alex Graf im Podcast als "Kümmerer" bezeichnet habe. Letzteres ist aus meiner Sicht übrigens die einzig realistische Rolle für traditionelle Händler.

Zeit, die Beine in die Hand zu nehmen

Um in diesem neuen Normal erfolgreich sein zu können, müssen stationäre Händler und Hersteller JETZT die Beine in Hand nehmen. Wenn ich eine halbwegs gute Basis habe, dann solle es darum gehen, die ganzen potenziellen Neu-Online-Kunden zu gewinnen. Nicht durch Sonderangebote, sondern vor allem durch perfektes "Kümmern". Auch indem man extra viel Manpower in die Zufriedenheit der einzelnen Kunden investiert – so günstig wie jetzt gewinne ich sie nie wieder. 

Der Graf trifft Wolfgang Kirsch

Jetzt ist nicht die Zeit, Strategieprojekte anzuschieben, sondern loszulegen. Es geht darum, massiv in Technologie und Onlinemarketing zu investieren. Ein zeitgemäßer Onlineshop ist für Hersteller wie klassische Händler nun Pflicht. Dazu gehört allerdings mehr als ein Shopsystem. Denn On- und Offline müssen datenbasiert laufen – man baut quasi einen Onlineshop mit angeschlossenen Filialen auf. Selbst wenn man "nur" 10% oder 15% Onlineanteil hat, muss Online-first gedacht werden. Das ist auch ein Kulturwandel und ein persönlicher Lernprozess, den auch ich hinter mir habe.  

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Die gute Nachricht ist: Die Leute, die sowas können, sind am Markt verfügbar. Denn das was da zu tun ist, ist ja im Grunde nicht neu. Es gibt sehr gute Online-Shop-Experten. Es gibt tolle Online-Marketer. Und viele traditionelle Händler haben diese Leute sogar im Haus – aber ihnen bislang nicht die Budgets und die Befugnisse gegeben. Mein fester Glaube ist, dass dafür nun die Zeit gekommen ist. Wenn man im neuen Normal relevant bleiben will. 

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