Die Deutschen sind im Krisen- und Existenzangstmodus. Einerseits dürfen sie nicht mehr einkaufen, weil die Läden geschlossen sind. Andererseits wollen sie nicht mehr, weil es gerade Wichtigeres gibt als eine neue Hose. Für die Händler ist das eine komplizierte Zeit, die auch dann nicht einfacher wird, wenn die Beschränkungen gelockert werden. Die Optikerkette Fielmann ist jedoch ein Beispiel, wie man sich in der Krise verhalten kann. Davon kann auch ein Dax-Konzern lernen.

Und: Für 2019 wird das börsennotierte Unternehmen keine Dividende auszahlen, was auch die Familie Fielmann selbst trifft, hält sie doch gut drei Viertel der Anteile. Das sollte sich der Autobauer BMW durchlesen, dem es nichts ausmacht, seine Mitarbeiter ebenfalls in Kurzarbeit zu schicken und deswegen als Staatshilfe Kurzarbeitergeld erhält – aber an seine Aktionäre eine Dividende von insgesamt 1,64 Milliarden Euro ausschütten will. Dafür bekam der Dax-Konzern schon ordentlich Prügel, die aber nicht ganz so heftig ausfielen wie die für Adidas und dessen Versuch, die Mieten für die Läden nicht mehr zu zahlen.
Nun kann man sagen, dass die Familie Fielmann wegen der ausbleibenden Dividende für 2019 nicht ärmer wird, einem Kleinaktionär hingegen, der mit BMW-Papieren seine Altersvorsorge aufbessert, der Wegfall der Dividende ärger trifft. Aber wenn man sich in solche Verästelungen begibt, wird es kompliziert und albern. Denn es geht hier ums große Ganze. Fielmann hält das Geld zurück, um auch damit das Unternehmen zu sichern. BMW hingegen bedient seine Investoren – und holt sich Geld vom Steuerzahler.
Wie ein evolutionärer Akt
Was Fielmann auch macht: An die Zeit denken, die sich die meisten im Land noch gar nicht vorstellen können - die Nach-Corona-Zeit. Denn aktuell ist das abstrakt, weit weg, nicht greifbar. Aber sie wird kommen. Nicht in einem Ruck, eher wie ein evolutionärer Akt, wie ein Fluss, der als Bächlein beginnt.Und dann will Fielmann bereit sein. Man hat dafür Martin Exner engagiert, Professor am Institut für Hygiene und öffentliche Gesundheit im Universitätsklinikum Bonn. Der Mann soll einen Leitfaden erstellen, wie man Infektionsgefahren in einem Filialbetrieb minimieren kann, das Fielmann-Hygiene-Grundgesetz, sozusagen.
Vielleicht hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn genau solche Unternehmen im Kopf, wenn er im "Handelsblatt" davon spricht, dass eine Bedingung für die Rückkehr in das Arbeitsleben sei, dass man die Fabrik oder das Geschäft sicher für Mitarbeiter und Kunden organisieren könne. "Unternehmen oder Branchen, die nachweisen können, dass sie die Hygiene- oder Abstandsregeln sicherstellen, könnten leichter zurück in den Alltag. Diesen Weg wollen wir im Dialog mit allen Bereichen der Wirtschaft gehen."

Aber der muss sich verstetigen. Deshalb ist es wichtig, über Ostern konsequent zu bleiben. Auch wenn es bei dem Wetter schwerfällt: Wir sollten zu Hause bleiben und auf Familienbesuche verzichten, damit die Infektionskurve nicht wieder ansteigt."
Das ist immer noch alles sehr vage und kann auch als strategisches Optimismusverbreiten interpretiert werden. Wie viele Handelsunternehmen es letztlich sein werden, die es in den besagten Alltag zurückschaffen, weiß niemand. Mit Sicherheit die "gesunden", wie Fielmann. Die kranken werden es nicht oder nur mit größter Mühe, staatlichen Krediten und gewaltiger Verschlankung schaffen. Aber was das dann für diese Gruppe langfristig heißt, wenn sie einerseits ihre Umsatzverluste reinholen, andererseits Kredite bedienen müssen, kann man sich auch mal fragen. "Wir werden eine komplett andere Handelslandschaft haben, wenn die vielen Geschäfte in den Innenstädten die nächsten Monate nicht überstehen. Das bereitet mir große Sorgen", hatte dieser Tage Markus Dielmann der "Wirtschaftswoche" gesagt.
Der Chef der gleichnamigen Schuhhandelskette mit Sitz in Darmstadt hat dieses Interview auch als eine Art Generalbotschaft vom gesamten mittelständischen Einzelhandel verstanden, wiewohl der nicht gerade als medienlüstern bekannte Schuhhändler derzeit auch auf Twitter kräftig für seine Branche trommelt.
Dielmann sollten auch diejenigen zuhören, die jetzt und in Zukunft dem Onlinehandel das große Geschäft andichten wollen. Eine neue Studie von Kantar hat ermittelt, dass wegen der Corona-Krise die Einkäufe sich schneller vom stationären Handel hin zum E-Commerce entwickeln würden als einst prognostiziert wurde. Bei solchen Vorhersagen ist immer wichtig zu wissen, wer deren Auftraggeber ist. In dem Fall ist es Detail Online ist ein in Stockholm ansässiges Technologieunternehmen, das "Suchtechnologie und künstliche Intelligenz einsetzt, um verlorene Verkaufschancen im E-Commerce zu überwachen", wie es heißt.
Absturzmonat März
Yo. Dass sich Detail Online sich seinen Markt nicht schlecht reden wird, ist klar. Markus Dielmann hat allerdings auch seinen Eigenmarken-Onlineshop geschlossen, weil auch hier die Umsätze um 30 bis 50 Prozent eingebrochen seien. Und wer an dieser Stelle liest, wie es Onlinehändlerin Renata DePauli mit ihrem Shop Herrenausstatter.de derzeit geht weiß, dass die Corona-Krise keine ist, die vor allem den stationären Handel bedroht.Die aktuellen Zahlen des Branchenverbandes BEVH für das erste Quartal belegen das eindrucksvoll. Minus 20% Rückgang im März über alle Sortimentsbereiche im Vergleich zum Vorjahresmonat - nur Lebensmittel brummt: Plus 56% im März sorgten für ein Quartalsplus von 28%. Das klingt gigantisch, aber nunmehr 361 Millionen Euro Umsatz sind im Vergleich zum Volumen des gesamten deutschen Lebensmitteleinzelhandels mit seinen rund 160 Milliarden Euro Umsatz im Jahr ein Witz. Somit wird aus dem Brummen schnell ein leises Schnurren.

Für alle, die jetzt mit vermeintlich cleveren Strategien daherkommen, wie man mit optimierten Webshops Verbraucher zum Onlineshopping motivieren könne, sei gesagt: Das Coronavirus drückt allen auf die Laune und schlägt (fast) allen auf die Geldbeutel.
Menschen, die nicht mehr in die Disco gehen können, brauchen keine modische Kleidung. Fußballspieler, die sonntags kein Spiel mehr haben und auch nicht trainieren können, brauchen keine neuen Fußballschuhe. "Für die Menschen sind jetzt andere Dinge wichtig", sagt Renata DePauli. Man hat Rückenschmerzen, weil im Homeoffice keinen gescheiten Bürostuhl, man kann die eigenen vier Wände eh nicht mehr sehen, es fehlt das Sozialleben, die Zukunftsängste wachsen, und vielleicht haben manche auch Angst um ihre Gesundheit. Von so einer angeknockten Gesellschaft kann niemand ein fröhliches Einkaufen erwarten, nur, weil ein Webshop optimiert wurde. Sensible Kundenkommunikation ist jetzt gefragt, ein paar Mitarbeiter mehr in Callcentern könnten sich auszahlen. Ansonsten muss sich die gesamte Branche auf die Zeit danach vorbereiten, die kompliziert beginnen wird. Denn große Kaufkraft - und lust werden keinesfalls sofort zurückkehren - und behördlicherseits auch nicht dürfen. Von Fielmann kann man aber lernen, wie man sich auf diese Zeit einstellt.