Wenn Internet-Kriminelle den Onlineshop lahmlegen, Kundendaten erbeuten oder Lösegeld fordern, ist der Schreck groß. Die Zahl der Schadensfälle steigt, ebenso wie die durchschnittliche Schadenshöhe. Immer mehr Einzelhändler sichern sich deshalb gegen unkalkulierbare Risiken durch Cyberangriffe ab.

Gut 46% aller deutschen Firmen haben 2021 mindestens einen Cyber-Angriff erlebt. Dies geht aus dem aktuellen "Cyber Readiness Report" des Spezialversicherers Hiscox hervor. Der Digitalverband Bitcom kommt nach Befragung von 1.000 Firmen sogar auf einen viel höheren Wert: 86% für 2021 - und einen Schaden von 223 Milliarden Euro, nach 103 Milliarden im Jahr 2019.

Was bei einem Cyber-Angriff passiert, zeigen regelmäßig prominente Beispiele: Im Januar 2022 etwa hatten Kriminelle eine Brute-Force-Attacke auf den Onlineshop des Buchhändlers Thalia gestartet. Dabei wurden systematisch Username-Passwort-Kombinationen getestet und offenbar mehrere zehntausend Nutzerkonten gehackt. Zwei Monate zuvor musste Mediamarkt-Saturn einen Angriff melden, Berichten zufolge wurden gut 3.000 Server von einem Krypto-Virus infiziert, Warenwirtschaft und Kassensysteme stürzten ab.
Thalia, Tegut, Mediamarkt-Saturn: Cyber-Angriffe auf namhafte Händler sorgen immer wieder für Schlagzeilen, die große Mehrheit der Attacken schafft es aber gar nicht in die Medien.
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Thalia, Tegut, Mediamarkt-Saturn: Cyber-Angriffe auf namhafte Händler sorgen immer wieder für Schlagzeilen, die große Mehrheit der Attacken schafft es aber gar nicht in die Medien.
Auch Lücken in der Shop-Software bieten Angriffsfläche: Im Herbst 2020 wurden fast 2.000 Onlineshops auf Magento1-Basis attackiert, kurz nachdem Adobe den Support für das System eingestellt hatte. Erst kürzlich mussten wieder Sicherheitslücken geschlossen werden.

Ein Fünftel der IT-Budgets für Sicherheit

Die meisten Cyber-Angriffe schaffen es allerdings nicht in die Medien, zu klein sind die Schäden. Die mittlere Schadenhöhe beziffert Versicherer Hiscox für deutsche Unternehmen auf rund 23.000 Euro, der größte Einzelfall 2021 wird indes mit 5,1 Millionen Euro beziffert.

Kein Wunder also, dass Cyber-Security für die meisten Firmen keine Nebensache mehr ist. Laut "Allianz Risk Barometer" 2022 sehen Unternehmen heute Cyber-Angriffe als größte Gefahr, vor Betriebsunterbrechungen, Naturkatastrophen oder Pandemien.

Laut Hiscox haben sich die Ausgaben für IT-Sicherheit kräftig erhöht. 2021 machten sie 20% der IT-Budgets aus, 2020 erst 12%. Gleichzeitig werden Cyber-Versicherungen Standard - nur noch 15% der von Hiscox befragten Unternehmen hatten oder wollten keine.

Versicherung verhindert keine Angriffe

Wobei eine Cyber-Versicherung natürlich keinen einzigen Angriff verhindern, sondern lediglich den Schaden begrenzen kann, etwa indem Kosten für die Datenrettung, für Lösegelder oder für Schadenersatzforderungen von Kunden übernommen werden. Auch die Betriebsunterbrechung kann abgesichert werden, also der Verdienstausfall, solange die Systeme stehen.

Ein wichtiger Punkt ist zudem die Soforthilfe: Ein guter Versicherer sollte eine 24-Stunden-Hotline bereithalten, unter der Experten - im Idealfall eines spezialisierten IT-Dienstleisters - direkte und konkrete Unterstützung leisten. Teilweise sind Cyber-Risiken übrigens bereits in einer Betriebsunterbrechungs-, Elektronik- oder sonstigen Versicherung abgedeckt. Dies sollte man prüfen.
Unabhängig vom Versicherungsschutz sollten Händler bei Firewalls, Patchmanagement und Antivirensoftware auf dem neusten Stand sein, um Unternehmensdaten vor unbefugtem Zugriff zu bewahren.
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Unabhängig vom Versicherungsschutz sollten Händler bei Firewalls, Patchmanagement und Antivirensoftware auf dem neusten Stand sein, um Unternehmensdaten vor unbefugtem Zugriff zu bewahren.

Zahl und Komplexität der Schäden steigt

Bei den Versicherern ist die Nachfrage nach Cyber-Schutz seit Jahren ungebrochen, wie unisono etwa HDI, AXA oder Signal Iduna berichten. Und jedes Mal, wenn das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) die Alarmstufe Rot ausruft, wie etwa zu Schwachstellen in MS Exchange oder Java Log4j im vergangenen Jahr, schnellen die Anfragen hoch.

Das gilt auch für die Schäden. Es wachse nicht nur die Zahl, sondern auch die Komplexität der Schadenfälle, heißt es von HDI. Das dürfte sich auf die Prämien auswirken. Die seien zwar derzeit stabil, teilt Signal Iduna mit. Doch man komme "aus einer Marktphase mit einem harten Preis- und Bedingungswettbewerb", so HDI. Denn fast jeder Versicherer bietet heute Cyber-Schutz an.

Wobei gerade Onlinehändler ohnehin bereits höhere Prämien zahlen. Denn ihre Abhängigkeit vom Webshop ist essenziell, die möglichen Schäden und Angriffspotenziale aus dem Internet, ob in der Cloud oder beim Online-Payment, sind deutlich größer als etwa bei einem Handwerksbetrieb.

Versicherer unterstützen Eigenvorsorge

Letztlich aber gilt für alle - Unternehmen wie Versicherer: Der beste Schutz ist der, den man nicht braucht. Zwar stellen die Versicherer meist keine konkreten Bedingungen, drängen aber dennoch auf Vorsorge. Interessenten müssen auf Fragen nach Patchmanagement, Back-ups oder Antivirensoftware gefasst sein.

Benutzerindividuelle Kennungen, wöchentliche Datensicherungen und aktueller Software-Stand seien schon wichtig, heißt es von Signal Iduna. Und wer seine IT-Sicherheit vorab vom Versicherer überprüfen lässt, erhält etwa bei HDI einen geringeren Selbstbehalt. Zudem unterstützen Versicherer aktiv den Aufbau von IT-Security - schon aus eigenem Interesse. Gemeinsam mit Partnern werden etwa Beratungen und Mitarbeiterschulungen angeboten.

Ziel sind Zahlungs-, Personen- und Zugangsdaten

Doch mit welchen Risiken sind Händler überhaupt konfrontiert? Laut Digitalverband Bitkom ist es vor allem die Infizierung mit Schadsoftware (31%), gefolgt von DDoS-Attacken, bei denen Angreifer Server überlasten und in die Knie zwingen (27%). Es folgen Spoofing, das Vortäuschen einer falschen Identität, und Phishing, das Abfangen persönlicher Daten.

Laut dem internationalen "Verizon Data Breach Investigation Report 2021" für den Einzelhandel geht es fast immer um Habgier (99%), selten um Spionage (1%). Betroffen sind meist Zahlungsdaten (42%), personenbezogene Daten (41%) und Zugangsdaten (33%).

Polizei rät von Lösegeldzahlungen ab

Aus der Praxis berichtet Versicherer Signal Iduna von Firmen, die keine Rechnungen, und Apotheken, die keine Rezepte mehr ausstellen können, von der Manipulation von Überwachungs- und Klimatechnik und von automatisierten Hochregallagern, vom Hacken des EC-Transfers und der Warenbestandssoftware "in größeren Dimensionen".

Die IT-Experten der Polizeibehörden sind in ihrer alltäglichen Arbeit vor allem mit Ransomware konfrontiert, die Systeme verschlüsselt und Lösegeld fordert. Das US-Unternehmen Cybersecurity Ventures schätzt, dass 2021 mit Ransomware weltweit rund 20 Milliarden US-Dollar erpresst wurden, Tendenz steigend. Laut Hiscox kommen die Lösegeld-Trojaner am häufigsten per E-Mail, gefolgt von gestohlenen Identitäten.
Professionelle Lösegeld-Attacken sind nicht zuletzt deshalb oft erfolgreich, da die geforderten Beträge individuell an die Möglichkeiten des vorher ausspionierten Unternehmens angepasst werden.

Die Polizeit rät - bei allem Verständnis für den Einzelfall - grundsätzlich vom Bezahlen ab. Denn damit züchte man eine digitale Mafia heran, die irgendwann nicht nur für Unternehmen, sondern die ganze Gesellschaft zur Bedrohung werden könne, so das Argument.

Unternehmen werden immer länger lahmgelegt

Eine beunruhigende Nachricht kommt auch vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Nach dessen Analyse legen Cyber-Attacken Unternehmen immer länger lahm. 2021 brauchten 39% der betroffenen Firmen vier Tage und mehr, um ihre Systeme wiederherzustellen, 2019 waren dies erst 18%.

Auch hier zeigt sich: Die Angriffe werden nicht nur häufiger, sondern auch komplexer. Grund genug, sich aktiv mit dem Thema zu beschäftigen und Vorsorge zu treffen - mit Firewall, Virenschutz, strukturiertem Patchmanagement, Offline-Backups, regelmäßiger Mitarbeiterschulung und einem schriftlich (auf Papier) dokumentierten Notfallplan mit klaren Verantwortlichkeiten.

Dieser Artikel erschien zuerst in Der Handel.

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