Ein Programm, viele Händler: Multipartnerprogramme galten lange als Goldstandard der Kundenbindung. Doch dank neuer Technologien können selbst kleine Unternehmen eigene Loyalty-Programme auflegen - und die großen müssen umdenken.
Ob und wie dieser Verlust durch einen Beitritt möglichst vieler Händler der Edeka-Gruppe kompensiert werden kann, ist bislang nicht absehbar. Ohne einen weitgehenden Ersatz könnte der Rewe-Ausstieg aber eine Lawine auslösen: "Wenn bei Payback die Datenqualität durch fehlenden Rewe-Input nachlässt und dies nicht durch andere große Händler ausgeglichen wird, werden die Programm-Partner deutlich weniger Wert aus dem Ansatz ziehen und damit weniger zahlungsbereit für die Teilnahme an Kampagnen sein", prophezeit Michael Bregulla, Kundenbindungsexperte des Martech-Dienstleisters Knistr.

Chance für proprietäre Programme
Die Folge könnte eine Zunahme sogenannter proprietärer Programme sein, die dank günstiger Angebote von Software-as-a-Service (SaaS) preislich wettbewerbsfähig gegenüber dem Anschluss an Multipartnerprogramme wie Payback oder Deutschland-Card geworden sind."Bei einem eigenen Loyalty-Programm lernt der Händler seine Kundschaft sehr facettenreich kennen, und zwar bereits von der Registrierung über die Kaufinformation bis hin zur Interaktion an jedem Kontaktpunkt", erläutert Martin Farwick, der als Geschäftsführender Gesellschafter von Insights-out Unternehmen bei der Implementierung von Customer-Centricity-Strategien begleitet.
Größere Nähe zur eigenen Marke
Alle Transaktions- und Affinitätsdaten können beim Bindungsprogramm selbst verwaltet und individuell und unabhängig von Partnerinteressen genutzt werden - ausschließlich im eigenen Namen. Gerade diese Nähe zur eigenen Marke ist beim Multipartnerprogramm im Dialog oft reduziert.Zudem muss dort in der Regel für den Dialog mit Kunden, die sich bei einem anderen Händler registriert haben, gezahlt werden. "Wird den ersten beiden Aspekten eine hohe Bedeutung beigemessen, spricht dies für ein eigenes Programm", meint Farwick. "Stehen diese Aspekte jedoch nicht im Fokus und geht es um hohe Reichweite von Beginn an, kann das Multipartnerprogramm die richtige Wahl sein."
Und selbst ein Miteinander der Systeme ist möglich: So belohnt Edeka einerseits Einkäufe über das appbasierte Statusprogramm Genuss+, andererseits können Kunden für denselben Einkauf zusätzlich Punkte über die Deutschland-Card sammeln - oder möglichweise bald bei Payback. Ähnlich parallel läuft es auch beim Marken-Discounter Netto oder der Drogeriekette Dm."Wenn bei Payback die Datenqualität nachlässt, werden die Partner weniger zahlungsbereit sein."
Technik stellt keine Hürde mehr dar
Welchen Weg Handelsunternehmen mit ihrem Loyalty-Programm gehen, ist heute also weitaus stärker von der gewählten Strategie abhängig als von der technischen Umsetzbarkeit."Ehemals technologisch anspruchsvolle Barrieren sind über mobile Lösungen, wie etwa Kassenzettelscan via Smartphone, viel einfacher aufzulösen als im Jahr 2000, dem Geburtsjahr von Payback", erklärt Alexander Süßel. Der Country Manager Deutschland von Snipp Interactive, einem weltweit führenden Technologieanbieter für datenbasierte Marketingmaßnahmen, verweist auf die mittlerweile deutlich gesunkenen Anlaufkosten für händlereigene Systeme, ebenfalls eine Folge effizienterer SaaS/PaaS-Technologien.
Parallel zu den veränderten technologischen Möglichkeiten und Kosten haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten auch die Ansprüche der Kundschaft an die Programme stark verändert. So wünschen sich über 63% aller in einer Studie befragten Konsumenten besondere Vorteile, wenn sie nachhaltige oder umweltfreundliche Produkte des Händlers verwenden. Über ein Drittel würde bei besonders attraktiven Incentivierungen sogar einen höheren Preis für den Einkauf zahlen, wie die B2C-Loyalty-Studie 2022 des Marketing-Tech-Dienstleisters Knistr ergeben hat. Ohne eine direkte Verwertbarkeit der Kundendaten durch den jeweiligen Händler sind solche Vorteile jedoch kaum zu offerieren.
Kunden schätzen individualisierte Angebote
Auch deshalb überrascht es wenig, dass Kunden die kaum individualisierten Angebote der Multipartnerprogramme, beispielsweise per Newsletter, für weniger attraktiv halten als die direkte Kommunikation mit dem Handelsunternehmen. Die Folge: Sie melden sich bei Multipartnerprogrammen schneller von Newsletter, Pushnachrichten und anderen Kontaktmöglichkeiten ab.Daraus zu schließen, dass Multipartnerprogramme langfristig überflüssig werden, greift zu kurz, mahnt Marketing-Experte Bregulla: "Loyalty-Programme benötigen immer eine bereits vorhandene Kontaktfrequenz, und Multipartnerprogramme bieten den Vorteil der bereits existierenden Kundschaft und können über standardisierte Ansätze dem Unternehmen auch neue Zielgruppen zuführen."
"Bei einem eigenen Loyalty-Programm lernt der Händler seine Kundschaft sehr facettenreich kennen"
Regionale Allianzen könnten ein Comeback erleben
Für eine Zukunftsfähigkeit müssen Multipartnerprogramme jedoch vielseitiger und flexibler werden. Ein Multipartneransatz insbesondere für kleinere und mittlere Händler bestehe zum Beispiel in starken regionalen Allianzen. Diese waren in der Vergangenheit, etwa in Form von City- oder Centercards zur regionalen Bindung der Kaufkraft, häufig aufgrund der teuren Anschubkosten gescheitert.Doch mittlerweile hat sich die Lage laut Marktbeobachter Farwick gewandelt: "Durch die Veränderungen in der Kostenstruktur und die deutlich höhere Flexibilität der heutigen Systeme sehe ich hier große Chancen für ein erfolgreiches Comeback, insbesondere wenn regionale oder lokale Community-Aspekte aufgegriffen werden, die von den Konsumenten als besonders attraktiv betrachtet werden."
Wenn der Händler die Tierarztrechnung zahlt
Neben Regionalität werden künftig auch geteilte Themen eine größere Rolle spielen: So könnten sich Händler eigene Multipartner-Ökosysteme entlang ihrer Customer-Journeys und Themenwelten aufbauen, meint Marktstratege Süßel. "Warum sollte ein Tierfutter-Filialist nicht auch die Tierversicherung oder den Tierarztbesuch incentivieren?", fragt er und nennt den Auftraggeber Mars US als Beispiel. "Dessen Kunden können beim Händler ihre Tierarztrechnung scannen lassen, und dieser beteiligt sich dann je nach Kundenumsatz an dieser Rechnung."Künftig werde man sich als Händler Partner suchen, die das eigene Angebot ergänzen oder die eigene Marke aufwerten: vor allen Dingen, um den Loyalty-Ansatz für Endkunden attraktiver zu machen - aber auch, um die Datengrundlage über die erweiterten Verkaufskontakte zu stärken.
"Von so einem Multipartnerprogramm lässt sich für den initiierenden Händler dann sogar ein eigenständiges Profitcenter ableiten", resümiert Marketing-Stratege Bregulla. "Und spätestens das überzeugt selbst die Kritiker im eigenen Hause."
Dieser Artikel erschien zuerst in Der Handel.