In der Vergangenheit dominierten beim Vertrieb von Lebensmitteln im Internet die großen, traditionellen Lebensmittelhändler die Märkte. Doch mehr und mehr machen Start-ups auf sich aufmerksam, die mit innovativen und teils fundamental anderen Herangehensweisen einen Teil des Marktes für sich erobern wollen. Und dem Thema E-Food in den Köpfen der Verbraucher zu neuem Schwung und weiterem Wachstum verhelfen.
Doch auch über die deutsche Landesgrenze hinweg in der Schweiz sind einige Start-ups aktiv, die von sich reden machen und die Eisbrecher-Rolle im Online-Lebensmittelhandel für sich beanspruchen. Auf den ersten Blick mutet das Schweizer Start-up MIACAR als alpenländisches Pendant von Picnic an. Dessen für den Schweizer Markt fundamental konträrer Ansatz wird im Folgenden einer detaillierten Betrachtung unterzogen.

Die Idee zu MIACAR nimmt Form an
Bei MIACAR handelt es sich um einen Venture-Building Ansatz der Migros. Das Start-up ist dabei die erste Ausgründung des zum Migros Genossenschafts Bund (MGB) gehörenden Company-Builder und Growth Equity Investor Sparrow Ventures, das nach erfolgreichem MVP in 2019 mit Fokus auf die Hauptstadt Bern als eigenständige Aktiengesellschaft ausgegründet wurde: Beim Screening der Verbraucherbedürfnisse im Schweizer Markt und der Suche nach einem Kundenbedürfnis im definierten Suchfeld "last mile delivery", das bisher noch nicht bedient wurde, kam Sparrow Ventures recht schnell auf den Bereich der Lebensmittellieferdienste.Der Einkauf von Lebensmitteln stellt ein Grundbedürfnis dar, das eine regelmäßige und hohe Frequenz aufweist. Zudem steckt die Transformation von stationär in Richtung online in diesem Bereich noch in weiten Teilen Europas in den Kinderschuhen. "Die bisherigen Player bieten kein Angebot für die breite Masse. Zudem bedienen sie primär nur bestimmte Zielgruppen und bieten i.d.R. höhere Preise als der stationäre Supermarkt."MIACAR zielt darauf, dass Kunden ihren Wocheneinkauf online erledigen können und mehr Kunden als heute zum Onlineeinkauf bewegt werden können."
MIACAR zielt hingegen darauf, dass Kunden ihren Wocheneinkauf online erledigen können und "mehr Kunden als heute zum Onlineeinkauf bewegt werden können", sagt Dominic Mehr, CEO von MIACAR. Mehr ist dabei überzeugt, dass der richtige Zeitpunkt für eine stärkere Verbreitung von E-Food gekommen ist, sofern man es als Unternehmen schafft, dem Kunden die richtige "Value Proposition" mit einer Verknüpfung von Technologie und der konsequenten Erfüllung der Kundenbedürfnisse zu bieten. MIACAR ist dabei quasi über Sparrow Ventures eine der verschiedenen Wetten bei Lebensmitteln online, mit der die Migros versucht, unterschiedliche Kundensegmente auszuloten und diese zu bearbeiten. Weitere Beispiele für dieses Vorgehen sind der ebenfalls zur Migros gehörende Player LeShop, der mittelfristig in der 2019 angekündigten Initiative «MFO – Migros Food Online» aufgehen könnte, sowie der ebenfalls im Raum Bern angesiedelte und von der regionalen Genossenschaft Migros Aare betriebene Lieferdienst "myMigros".

Neue Wege außerhalb klassischer Konzernstrukturen
Mit MIACAR versuchte Sparrow Ventures in der Testphase, neue Wege ausserhalb bestehender Konzernstrukturen zu gehen, um mit einem neuen Team und frischem Mindset rasch neue Lösungen für den Schweizer Konsumenten zu etablieren. Hierbei hat MIACAR den Vorteil, auch nach der Ausgründung als AG auf Konzernassets und -dienstleistungen zurückgreifen zu können und Synergien zu nutzen, sofern dies MIACAR weiterbringt; ein Muss besteht jedoch nicht. Eine Kooperation mit dem Migros Genossenschafts-Bund und der regionalen Genossenschaft Migros Aare findet beim Thema Sortimentsgestaltung, Warenbezug und Kommissionierung statt. So nutzt MIACAR bspw. Abverkaufsdaten der stationären Migros-Filialen in seinen Liefergebieten zur Sortimentsgestaltung und Sortimentserweiterung. Zudem bezieht MIACAR intensiv Kundenfeedbacks in die Sortimentsgestaltung mit ein; in der App besteht die Möglichkeit, sich mit der Funktion "Vermisst Du ein Produkt?" entweder den Support telefonisch zu kontaktieren oder sich per Mail zu melden.
Der Sortimentsfokus liegt dabei auf einem breiten Sortiment mit Frische und Regionalität als Differenzierungskriterium, der stetig ausgebaut wird. Derzeit umfasst das Sortiment rund 6.000 SKU. Zudem wird MIACAR ab Januar ebenfalls regionale, eigenständige Lieferanten einbinden, um weitere Kunden zu erreichen.
Die Testphase startet mit den Berner Partnern Lola Cola, Brauerei Felsenau und der Sterchi Bäckerei. Weitere Partnerschaften mit lokalen Zulieferern im Raum Bern sind in Planung. Mit diesem Ansatz positioniert sich MIACAR ebenfalls im Raum Bern geschickt gegen das Online-LebensmittelStart-up Farmy, das sich ebenfalls dem Vertrieb von regional produzierter Ware verschrieben hat.
Der Bestellprozess – Smartphone und App im Fokus
Beim Bestellprozess weist MIACAR gewisse Parallelen zum Vorgehen des deutschen Start-ups Picnic auf: Es gibt keinen klassischen Onlineshop, der Bestellprozess verläuft ausschließlich über das Smartphone des Kunden und die MIACAR App. Interessierte können sich anmelden und werden in der App freigeschaltet, wenn das jeweilige Postleitzahlengebiet verfügbar ist.Somit hat MIACAR, genau wie Picnic, einen guten Indikator, welche Gebiete sich als nächstes für eine Erschließung lohnen. Zudem werden mit der App ganz andere Einkaufssituationen bei den Konsumenten adressiert, da die App und der Warenkorb quasi überall mit dabei ist. Sei es im Zug, auf der Couch, auf dem Weg ins Büro; klassische Merklisten werden damit überflüssig. Ein weiteres Feature in der MIACAR App besteht darin, in der Bestellhistorie eine vergangene Bestellung erneut zu bestellen. Der Grund für diese Funktionalität: In der Regel enthält der wöchentliche Supermarkteinkauf zu 80% immer die gleichen Produkte.
Während Online-Supermärkte oder Spezialversender sich oftmals auf bestimmte Kundengruppen fokussieren, möchte MIACAR der "Online-Supermarkt für Jedermann" sein. Derzeit stehen Familien und DINKS im Vordergrund (vgl. hierzu auch den Beitrag Käufertypen: "Wer kauft eigentlich Lebensmittel im Internet?" bei etailment). Allerdings spricht der geringe Mindestbestellwert von CHF 25 auch aktiv andere Zielgruppen mit kleineren Warenkörben an wie Singles, Studenten-WGs oder auch Senioren.
Bei den angezeigten Lieferslots folgt MIACAR generell der ursprünglichen Picnic-Logik: Kunden können von Montag bis Freitag einen vorgegebenen, einstündigen Lieferslot pro Tag wählen. Die Ankunft wird nochmals am Ausliefertag via SMS auf 20 Minuten genau innerhalb des Ein-Stunden-Fensters eingegrenzt.

Dies wird primär durch 3 Faktoren erreicht: Eine grosse Word-of-Mouth-Rate innerhalb eines Quartiers, durch die Auslieferung mit eigenen Fahrzeugen, die eine rollende Werbefläche darstellen, sowie durch Plakatwerbung an strategisch günstigen Stellen im jeweiligen Quartier.

Kommissioniert wird mit einem Mischansatz: Schnell drehende Ware wird selbst am Lager in Schönbühl gehalten, der Rest kommt aus dem Migros Megastore Shoppyland bei Schönbühl, respektive aus einer Denner-Filiale, die Alkohol und zusätzliche Nicht-Migros Produkte liefert. In der Folge wird dann die finale Bestellung in Schönbühl verdichtet, bevor die kompletten Bestellungen nach Ittigen zum Verteilhub für Umladung und Auslieferung transportiert werden.

Allerdings steigt ebenfalls die Prozesskomplexität, je mehr Artikel von verschiedenen Lagern am Schluss zu einer Bestellung zusammengefügt werden. Nachdem Kunden in der App bis 22 Uhr am Vortag ihre Bestellung angelegt oder upgedatet haben, startet am Ausliefertag ab 6 Uhr morgens der Kommissionierprozess. In der Regel ist dieser gegen 10 Uhr abgeschlossen – die Bestellungen werden dann nach Ittigen zum Hub verschoben und final für die Auslieferung auf die entsprechenden Vans und Routen verladen.
Die Zukunft – rosige Aussichten für E-Food in den Ballungsgebieten
Das Ziel von MIACAR für 2020: Wachstum in den bestehenden Liefergebieten im Raum Bern und eine signifikante Vergrösserung der Kundenbasis. Die Expansion in weitere Regionen ist denkbar, steht aber erst einmal nicht im primären Fokus. Parallel ist der Ausbau der operativen Strukturen geplant. Den Anfang macht ein Ausbau der Lieferflotte mit neuen Elektro-Fahrzeugen des belgischen Herstellers Addax. Langfristig möchte MIACAR mit einem profitablen Geschäftsmodell Category Leader für die letzte Meile in seinen Liefergebieten werden, wobei der Fokus auf städtischen Ballungsgebieten und Agglomerationen liegt (vgl. ebenfalls den Beitrag "10 Thesen zum E-Food Markt" bei etailment).Ebenfalls zu erwarten ist in 2020 ein Ausbau der Services für den Kunden, die diesem den Convenience-Gedanken rund um den Einkauf durch die letzte Meile erleichtern. Bereits heute nimmt MIACAR die eingesetzten Papiersäckli sowie die kompostierbaren Plastik-Tragetaschen zurück. Weiter angedacht sind erste Akzeptanztests für die Rücknahme von PET und Batterien.
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