Kunden wollen alles. Und zwar sofort. Da fällt es Händlern angesichts der digitalen Möglichkeiten schwer, die richtigen Prioritäten in der digitalen Transformation zu setzen. Accenture-Geschäftsführer und Retailexperte Thomas Täuber erklärt die wichtigsten Schritte für die digitale Agenda und sagt, wie man das Buzzword vom "Purpose" mit Leben füllt.
Aber nicht nur der Kunde hat sich verändert und bestimmt zunehmend mehr den Markt und das Angebot. Auch ein sich schnell verändernder Wettbewerb mit neuen Nischen- oder Online-Playern, die schnell und ungehindert auf den Markt strömen, zwingt Hersteller und Händler zum Handeln.
Hinzu kommt die voranschreitende Digitalisierung mit schier unbegrenzten Möglichkeiten, aber auch mit den damit verbunden Risiken und hohen Kosten. Keine Frage - der Handel, vor allem der stationäre Handel, steht enorm unter Druck. Bei sinkenden Margen, hohen Kundenerwartungen und steigendem Wettbewerb muss er aber gerade jetzt investieren und aktiv werden.
Leider gibt es nicht die allgemeingültige Patentlösung. So benötigt nicht jeder stationäre Händler zwingend ein teuer ausgestattetes Ladenkonzept mit vielen digitalen Gadgets, um im Wettbewerb bestehen zu bleiben. Im Umkehrschluss muss nicht jeder Online Shop ein großes Filialnetz aufbauen, wenn die Mehrzahl der Kunden online bestellt.
Nur wer den Kunden kennt, kann eine digitale Strategie entwickeln
Der prinzipielle Ansatz für eine erfolgreiche Strategie ist dennoch simpel: An erster Stelle steht immer der Kunde, er hat bedingungslos die oberste Priorität. Nur wenn ich meinen Kunden kenne und verstehe, kann ich eine Strategie entwickeln und die Digitale Transformation für mich nutzen. Für die Entwicklung einer solchen Strategie und der damit verbunden Auswahl der richtigen Technologie empfehle ich die Beantwortung der folgenden vier Fragen:1. Warum existiere ich? Was ist mein „Purpose“?
- Händler sollten den „Kern“ des Unternehmens aus Sicht des Kunden überprüfen und schärfen bzw. neu definieren.
- Was ist die Bestimmung und Existenzberechtigung meines Unternehmens?
- Welche Relevanz und konkrete Mehrwert biete ich dem Kunden im Alltag?
- Wie differenziere ich mich gegenüber anderen Unternehmen?
Hier gilt es nicht nur das vordergründige Produkt, sondern das tiefere Bedürfnis und die teils dahinter liegenden Sehnsüchte der Kunden/Konsumenten zu verstehen.
Es reicht heute als Händler nicht mehr nur zu wissen wer mein Kunde ist, ich muss ein persönliches Verhältnis zu ihm aufbauen.
Dieser erwartet nicht nur unmittelbar ein Produkt kaufen zu können, er will auch ein Einkaufserlebnis haben und unterhalten werden, auch verborgene Wünsche und Sehnsüchte sollen mit einem Kauf erfüllt werden.
Am Ende ist noch die Beachtung eines weiteren Punktes wichtig, damit ein Kunde bei einem Händler kauft: Vertrauen. Bei der Erfüllung dieser Voraussetzungen kann die Technologie helfen. Um Kunden über alle Touchpoints der Customer Journey zu begleiten, helfen beispielsweise Apps, digitale Kundenkarten oder die richtige Nutzung und das Zusammenspiel mit Social Media-Kanälen.
Mit Analytics wiederum können die über die vielen Touchpoints generierten Daten bzgl. persönlicher Interessen und Vorlieben ausgewertet werden. Händler verstehen ihre Kunden somit besser, können zielgenaue Produkte und Services bieten, Kontakte aufbauen und so die Kundenbindung stärken.Es geht um die richtige Mischung aus Produkten, Dienstleistungen und Partnern, um die Kundenerwartungen optimal zu treffen.
2. Was verkaufe ich?
Bitte Angebot und Produktsortiment, aber auch ergänzende Dienstleistungen für den Kunden entwickeln bzw. ergänzen. Es geht um die richtige Mischung aus Produkten, Dienstleistungen und Partnern, um die Kundenerwartungen optimal zu treffen.Schauen wir uns das Beispiel Zalando an, der mittlerweile größte Online-Anbieter für Mode in Europa. Zalando hat über sein eigentliches Konzept hinaus eine Reihe an Services und Dienstleistungen für seine Kunden entwickelt. Zunächst war Zalando ein reiner Online Shop für Schuhe.
In den letzten Jahren jedoch hat das Unternehmen nicht nur konsequent sein Sortiment erweitert und bietet jetzt auch Mode, Schmuck und Kosmetik an – es hat auch eine Reihe von Zusatzdiensten entwickelt, die die Kundenbeziehungen stärken sollen. So bietet Zalando bspw. über Zalon eine persönliche kostenlose Stilberatung an oder testet aktuell mit Zalando Plus ein Kunden-Treueprogramm.Eine gute Plattformstrategie wird zu einem der wichtigsten Erfolgsfaktoren für den Vertrieb
3. Wie verkaufe ich?
Die Vertriebsstrategie muss optimal auf die Kundenerwartungen angepasst sein. Wie können die Kommunikationsplattformen, Partnerschaften mit anderen Anbietern und neue Technologien, wie IoT, intelligente Agenten, künstliche Intelligenz und Automatisierung von Prozessen genutzt werden? Plattformen, denen der Kunde vertraut, werden den Kaufentscheidungsprozess so stark beeinflussen, dass eine gute Plattformstrategie zu einem der wichtigsten Erfolgsfaktoren für den Vertrieb wird. Um auf das Beispiel Zalando zurück zu kommen; Zalando setzt auf die Plattformstrategie, stellt also anderen Marken und Herstellern seine Plattform zur Verfügung. Kunden können so über Zalando bei einem Shop, den sie kennen und vertrauen, viele Marken einkaufen.Für Zalando hat dies den Vorteil, jede Menge Produkte anbieten zu können, ohne dabei selbst ins Risiko zu gehen. Das Unternehmen hat das Ziel das „Spotify der Mode“ zu werden und somit die erste Anlaufstelle für Kunden, die Bekleidungsartikel kaufen wollen, zu werden.
Aktuell investiert Zalando insbesondere in datengetriebene Verfahren wie Predictive Shopping, in künstliche Intelligenz und automatisierte Verfahren zur Aussteuerung von Werbung. Zalando setzt auch zunehmend auf den Offline-Markt und hat erste Zalando Outlets eröffnet. Außerdem sucht das Unternehmen aktive Partnerschaften mit dem stationären Handel, um auch diesen Bereich auszubauen.
Auch für kleinere Händler und Anbieter können gerade die Plattformstrategie und neue Ökosysteme wichtig sein. Sie sollten darüber nachdenken sich mit anderen zusammenschließen und so mit dem Tempo der großen Onlinegiganten in Punkto Lieferung und Services mitzuhalten, dabei aber die Kosten nicht aus den Augen verlieren.
Ein weiteres gutes Beispiel ist Zara, das sehr gut das Online- mit dem Flächenwachstum balanciert und deswegen auch heute noch relativ gesund ist. Zara hat es auch geschafft, viele Instore-Prozesse zu digitalisieren und dabei die Mitarbeiter einzubinden. Die Marke ist somit ein erfolgreiches Beispiel für einen vertikalen Händler, der seine Offline-Präsenz dem neuen Wettbewerb durch die Integration digitaler Kanäle angepasst hat – konkret durch Fokussierung auf die Digitalisierung der Kundenprozesse sowie der Wertschöpfungskette.
4. Wie organisiere ich mich?
Händler sollten das operative Geschäftsmodell der „Purpose“ Strategie anpassen. Um einen integrierten Marktplatz erfolgreich zu operieren, müssen auch die Organisation selbst und die internen Abläufe im Unternehmen konsequent auf die neuen Anforderungen ausgerichtet werden.Dabei werden eine Vielzahl von Informationen und Daten teilweise in Echtzeit in eine Vielzahl von Handlungsoptionen übersetzt. Elementarer Bestandteil eines zukünftigen Betriebsmodell sind also Automatisierung und Einsatz künstlicher Intelligenz.
In der Vergangenheit haben wir oft gesehen, dass Unternehmen einzelne digitale Projekte gestartet haben. Das reicht aber nicht. Die digitale Transformation bedeutet einen kompletten Unternehmenswandel. Nur dann kann es auch funktionieren.
Dabei geht es nicht nur darum Unternehmensprozesse zu überdenken und zu verändern, sondern auch Mitarbeiter mitzunehmen und eine neue agile, und an kundenrelevanten Produkten ausgerichtete Unternehmenskultur anzupassen.
Bonprix-Laden: Einkaufen per Smartphone
Die Frage „Was soll der Handel tun?“ schafft den notwendigen Perspektivwechsel, um sich diesem Wandel nicht nur anzupassen, sondern ihn proaktiv mitzugestalten, um auch in einem disruptiven Umfeld langfristig als Händler und als Marke bestehen bleiben zu können.