Daniel Terberger, Chef der Textilhandelsverbundgruppe Katag, über Greta Thunberg, den Kampf gegen den Klimawandel sowie den Unsinn, Hochzeitskleider von China nach Recklinghausen zu transportieren.


Herr Terberger, Zalando gibt sich neuerdings klimaneutral. Ab wann ist es die Katag?
Erstmal freue ich mich, dass Zalando dieses Ziel verfolgt. Auch die Katag hat sich dieses Ziel gesetzt. Für uns ist allerdings der Begriff Klimaneutralität erweitert in einem Sinne einer ganzheitlichen Nachhaltigkeit zu verstehen. Es ist für mich entsprechend gar keine Frage, dass wir alle etwas tun müssen gegen den Klimawandel. Deswegen ist auch die "Fridays for Future"-Bewegung von Greta Thunberg gut, weil sie etwas in Gang gebracht hat - wenn auch manchmal etwas Hysterie dabei ist. Mir fehlt aber in der ganzen Diskussion die Sachlichkeit bei den Begrifflichkeiten und Fakten.

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Es darf nicht darum gehen nach dem Motto "Bist du für oder gegen das Klima". Und so ein Denken wird ja dann auch auf Unternehmen übertragen. Wir als Katag verfolgen Nachhaltigkeit schon lange und haben viele Schritte umgesetzt. Zum Beispiel spielen nachhaltige Produktionsstandards seit vielen Jahren bei einem großen Teil unserer Marken eine wichtige Rolle und mit einer Nachhaltigkeits-Umfrage an unsere Partner in der Industrie schaffen wir mehr Transparenz für den Handel.

Wieso hysterisch? Die Fakten des Klimawandels sind doch für jedermann jederzeit nachlesbar.
Weil die öffentliche Diskussion aktuell auf das Thema Klima verkürzt wird. Wenn ich einen Atomreaktor statt Kohlestrom ans Netz bringe, bin ich ganz schnell klimaneutral. Aber dann würden viele Leute, die Klimaneutralität fordern, auch wieder protestieren.

Bezogen auf unsere Branche müssen wir nicht nur über Klimaaspekte reden, sondern auch über soziale und gesellschaftliche Aspekte und sogar über Tier- und Artenschutz. Und das versucht die Katag. Es geht um konkrete Schritte in die richtige Richtung. Das ist heute unternehmerische Verantwortung.

Zalando will bis 2023 gut 4 Milliarden Euro Umsatz erzielen nur mit nachhaltigen Produkten. Wird auch dadurch die gesamte Branche unter Druck gesetzt?
Die Diskussion über Nachhaltigkeit begann wesentlich mit dem 1972 veröffentlichten Bericht vom Club of Rome über die Grenzen des Wachstums, sie wurde weitergeführt von Klaus Steilmann in den neunziger Jahren (der frühere Texilunternehmer aus Wattenscheid wollte Unternehmertum, Naturschutz und Soziales miteinander verbinden, Anm. d. Red.), dann kam Greta Thunberg, und jetzt setzt Zalando ein deutsches Ausrufezeichen. Das ist die Fortsetzung einer guten Entwicklung, und ein Unternehmen dieser Größe setzt Standards. Zalando wird die entsprechende Nachfrage erhöhen, also entstehen neue Märkte. Und das ist gut so. 

Die "Fridays-for-Future"-Bewegung von Greta Thunberg ist gut.

Daniel Terberger
Was bedeutet das für die Katag?
Wir verpflichten uns einen immer höheren Anteil an GOTS-zertifizierten Produkten zu verwenden. Das machen wir übrigens seit Jahren und nutzen keinen Trend, nur um beim Verbraucher zu punkten oder Greenwashing zu betreiben, weil das Thema gerade in Mode ist. GOTS ist eines der wichtigsten weltweiten Umweltstandards für Textilien, es gibt keinen Grund, noch mehr Siegel und Standards zu erfinden. (GOTS steht für Global Organic Textile Standard, Anm. d. Red.). Deswegen sind wir zunächst auch nicht im Textilbündnis von Entwicklungsminister Gerd Müller dabei. Für den Verbraucher wird es immer verwirrender, wenn es immer mehr neue Siegel gibt, egal, wie gut die gemacht sind. Neue Siegel schwächen immer die alten. Noch problematischer ist die mangelnde Internationalität von Müllers Bündnis, und das in einer maximal internationalen Branche. Amazon, Zara - allein die beiden Unternehmen sind globale Spieler im Modehandel. Wenn wir jetzt über eine rein deutsche Lösung reden, dann ist das so, als zögen Sie mit einem Flitzebogen in den Krieg. 

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Wenn alle so denken, dann passiert nie etwas.

Wie gesagt, es gibt genug gute Siegel. Für die Politik wäre es doch leicht gewesen, unserer Branche GOTS oder ein anderes bestehendes Siegel zu empfehlen. Und wenn nach drei Jahren nicht gehandelt wurde, dann hätte eben ein neues Gesetz gedroht. Doch das Ministerium schafft ein neues, ausschließlich nationales Siegel und schwächt dadurch alle anderen internationalen.

Das heißt, dass der ebenfalls von Müller erfundene Grüne Knopf genauso unnütz ist?
Wenn es Herrn Müller gelingt, den Knopf zu einem großen internationalen Standard zu machen, etwa Amazon, Zalando und Zara mit einbezieht, dann bin ich der erste, der sagt: Wunderbar, dem schließen wir uns an. Voraussetzung ist aber immer, dass so ein Siegel dem Endverbraucher Klarheit schafft. Doch diese Klarheit sehe ich durch den Grünen Knopf bislang nicht. 

Finden Sie es nicht zynisch, dass der Aktienkurs von Zalando just an dem Tag abstürzt, als das Unternehmen seine nachhaltigen Ziele formuliert? Die Anleger sagten, dass Nachhaltigkeit nicht gut fürs Geschäft sei. Das ist doch alarmierend.
Es ist in der Tat alarmierend, aber ein Alarm ist ja auch gut. Denn der Kapitalmarkt ist nicht gut und auch nicht böse - er ist ehrlich.

Heißt?
Mit moralischen Argumenten bekommen Sie das Problem nicht gelöst. Die Aspekte Wohlstand und Wirtschaftlichkeit werden bei allem Reden über Klimaschutz nicht zu Ende diskutiert. Stimmungsmäßig ist jeder Verbraucher für mehr Umweltschutz, aber in unseren Läden wird das nicht mit der entsprechenden Kaufkraft bewiesen. Selbstverständlich gibt es bereits einen Markt für nachhaltige Produkte, aber der ist noch nicht so groß, wie wir ihn uns alle wünschen. Das ist wie in ihrer Medienbranche: Alle wollen Qualitätsjournalismus, aber keiner will mehr dafür bezahlen. Weder Verleger, noch Leser.

So drastisch ist es nun nicht.
Mag sein, aber es zahlen noch lange nicht genug Menschen für digitale Angebote von Medien, oder? Dieses Dilemma müssen wir noch aushalten, gleichzeitig aber eine neue Entwicklung und neues Denken vorantreiben. So, wie sich die Kunden daran gewöhnt haben, dass Bio-Fleisch ein paar Euro mehr kostet, muss das auch im Textilbereich stattfinden. Man muss einer Gesellschaft die Zeit geben, sich zu entwickeln. Und darauf müssen wir alle gemeinsam mit Wucht hinarbeiten. Die Unternehmen, die Medien, die Politik – alle sind in der Verantwortung. Die Zeit drängt.

Die Zeit haben wir doch nicht mehr. Derzeit verursacht die Textilindustrie jährlich angeblich 1,2 Billionen Tonnen CO2, das ist mehr als von Kreuzfahrten und internationale Flügen zusammen. Wie lange wollen Sie noch warten?
Ich begrüße politische Entscheidungen, die Klarheit schaffen. So wie beim Naturschutz, wo das Interesse des Einzelnen hinter dem Gemeinwohl zurückzustehen hat. Am Meer darf man ja nicht mehr jede Düne betreten, im Wald nicht mehr jede Blume pflücken.

Wie übertragen wir das auf den Modehandel?
Neue Standards sollen für alle gelten. Etwa für den Modehändler Iff in Gerolzhofen genauso wie für Amazon, das wiederum zu einem Kunden in Gerolzhofen ein Paket schickt. Es darf nicht sein, dass der deutsche Mittelstand alles ausbaden muss, aber sich niemand an Amazon herantraut, oder dass Alibaba unlimitiert, ohne deutsche Qualitätsstandards einzuhalten, nach Deutschland Ware importieren kann. Ich bin für alles, was Fairness im Wettbewerb schafft.

Das wäre das Optimum. Aber die politischen Entscheidungen sehen oft anders aus, weil die Mehrheiten dafür fehlen...
...dann müssen wir auf die Instrumente der heutigen gesellschaftlichen Ordnung vertrauen. Und das ist die soziale Marktwirtschaft in einem demokratischen Land. Dann muss im öffentlichen Diskurs klargemacht werden, dass alle handeln müssen. In dem Fall sollten auch die Unternehmer vorangehen, die Journalisten ebenfalls - und am Ende muss es beim Kunden im Laden ankommen. 

Unsere Industrie wird neu justiert werden.

Daniel Terberger
Der Kunde im Laden ist das richtige Stichwort. Er kauft nicht mehr dann, wann er kaufen soll. Etwa, weil die heißen Sommer neuerdings so lange dauern, bleiben nicht nur die Katag-Händler auf den Herbstklamotten sitzen, die mit turnusmäßig ab September in den Schaufenstern liegen. An diesen klassischen Saisonrhythmen können Sie doch nicht mehr festhalten, oder?
Unsere Branche versucht, ihre Produktions- sowie Trendfindungsprozesse markt- und bedarfsnäher sowie differenzierter zu gestalten. Wir müssen in der Tat weg von den Mechanismen, die Sie beschreiben. Bei einer Trendfindung für kurzfristigen Produktion hilft beispielsweise Künstliche Intelligenz. Unsere Industrie drückt zu viel Ware in den Markt und schafft es nicht, schnell genug ihre Prozesse zu ändern - daran müssen wir arbeiten. Das ist unsere Verantwortung, mit der Industrie zusammen. Wer das nicht hinbekommt, wird auf Dauer pleitegehen. 

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 Sie sagen, dass lange Orderzyklen von einem halben bis sogar einem Jahr obsolet sind?
Nicht für alle Produkte. Ein einfaches weißes T-Shirt etwa, das wird immer gekauft. Also ist es hier vielleicht sinnvoll, für solche Ware noch länger im Voraus zu planen, weil man dann günstigere und damit klimaneutrale Logistikprozesse schaffen kann. Wir müssen auch überprüfen, ob wir nicht wieder andere Produkte in Europa produzieren lassen. Es ist doch ökologischer Unfug, erst Stoffe von Italien nach Asien, dann wieder als Fertigprodukt zurück nach Deutschland zu transportieren.

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Halten Sie es sogar für realistisch, dass es sogar in Deutschland wieder eine nennenswerte Textilproduktion gibt?
Realistisch heißt für mich nicht, dass ich es in den nächsten zwei Jahren erwarte. Aber die Klimadiskussion wird dazu führen, dass wir alle radikal neu denken müssen. Das gilt auch für den Onlinehandel. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir auch in zehn Jahren ein Brautkleid erst in China vernähen lassen, dann in die Amazon-Lager in Deutschland schicken, von dort in siebenfacher Ausführung zu einem Kunden nach Recklinghausen senden, dann wieder zurück, um ein achtes zu bestellen, dass dann hoffentlich passt.

Ich bin für freie Märkte, doch ohne steuernde Eingriffe der Politik wird es nicht mehr gehen, sonst läuft uns die Zeit davon. Es ist doch nicht sinnvoll, tausende Laster über die Straßen fahren zu lassen mit Ware, die dann wieder ebenso kostenlos retourniert wird. Genauso wenig kann es gut sein, immer mehr Unkrautvernichtungsmittel auf unsere Felder und Äcker zu schütten. Unsere Industrie wird neu justiert werden. Einerseits, damit diese nachhaltig überleben kann, andererseits aus gesellschaftlicher und politischer Verantwortung. 

Ein gesellschaftlicher Trend soll Share Economy sein, sogar die Textilien betreffend. Werden sich die Konsumenten künftig nicht nur Autos, sondern auch Jacken und Hosen teilen?
Wer heute sagt, dass er sich irgendetwas nicht vorstellen kann, springt zu kurz. Ich bezweifle jedoch, dass diese Art von Verbrauch, den Sie beschreiben, in absehbarer Zeit ein Massenmarkt sein wird. Hier reden wir über Nischen, selbst der entsprechende Autobereich ist ja noch überschaubar. Für mich ist realistischer, dass ein Bekleidungsstück künftig nicht mehr als Wegwerfprodukt, sondern wieder als wertvoll angesehen wird. Daran arbeiten wir in der Katag gemeinsam mit unseren Partnern im Handel konkret.

Der Slogan "Schrei vor Glück" meinte doch nichts anderes als: Sei nicht blöd und schicks zurück, die Ressourcen dafür gibts umsonst und Qualität zum Nulltarif. Wer so denkt, hat seinen unternehmerischen Zenit überschritten. Zalando setzt nun ein Signal, Produkte neu wertzuschätzen, und das gilt auch für deren Produktionsstandards dahinter, für die Logistikkette und vieles mehr. Die Botschaft dahinter lautet: So ein neues Denken hat eben auch seinen Preis. Und so setzt Zalando nun ein tolles Ausrufezeichen für ein neues Denken.

Das Institut für Handelsforschung schreibt, dass gut gestaltete und nachhaltige Verpackungen in den Regalen des stationären Handels ein Differenzierungsmerkmal gegenüber dem Onlinehandel sein können. Gilt das auch für den Textilhandel?
Ja, das sind intelligente Signale. Hier kommt man ohne Verbote aus, sondern nimmt eine neue Stimmung im Markt auf. So etwas entspricht meiner freiheitlichen Vorstellung einer Gesellschaft. Die Leute erkennen doch den Unfug von opulenter Plastikverpackung für drei Scheiben Käse. Hier muss ich als Händler ansetzen. Es geht nicht mit Verboten, sondern ich muss dem Verbraucher über Kommunikation das Thema näherzubringen, dann tue ich meinem Unternehmen etwas Gutes, und dem Kunden auch.

Vielleicht brauchen wir ja nicht mehr für jedes Hemd eine Zellophan-Verpackung, das muss man sorgfältig überlegen. Als Händler differenziere ich mich jedenfalls durch so ein Angebot, auch gegenüber Amazon, das eine schwierige Ökobilanz hat und seine Laster tagtäglich über deutsche Straßen fahren lässt, ohne hier angemessene Steuern zu zahlen.

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