Mexikanische Männer stehen seit dieser Woche vor einem kaum lösbaren Problem, gegen das der Mangel an Toilettenpapier harmlos ist. Deutsche Innenstädte könnten bald ein anderes Problem haben, wenn die Karstadt-Kaufhof-Krise die allerschlimmsten Folgen hätte. Aber es gibt für die Einkaufsquartiere Hoffnung, dass sich nach der Corona-Krise auch vieles zum Guten ändern kann.

Es wird ja derzeit viel über Hamsterkäufe gesprochen, den Drang der Deutschen nach Lagerhaltung und Vorräten. Darüber lacht gerade der Mexikaner und zeigt uns, was ein knackiger Hamsterkauf ist. Denn dort wird jetzt wegen der Corona-Krise für einen Monat die Bier-Produktion eingestellt, weil es in diesen Wochen wichtigeres gäbe, wie es der Präsident des Industrieverbandes begründete. Außerdem seien ja die Läger derart voll, so dass ein Engpass nicht zu befürchten sei.

Das sieht aber der mexikanische Mann etwas anders. Auch sein deutscher Kollege könnte die Behauptung, "es gibt wichtigeres als Bier", aus der seelischen Balance bringen. Es wäre interessant zu ermitteln, wie die Antwort ausfiele auf die Frage: Auf was würden Sie eher verzichten - Bier oder Toilettenpapier? 
Steffen Gerth, Redakteur bei Etailment und Der Handel
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Steffen Gerth, Redakteur bei Etailment und Der Handel
Die Mexikaner haben jedenfalls seit gestern eine deutliche Antwort gegeben: Jeder kaufte Bier in Mengen, die reichen, um eine mehrtägige Party mit den Don-Kosaken zu feiern. Die Schlangen vor den Supermarktkassen erinnerten an Baumärkte in der Frühjahrssaison, nur dass sich jetzt weder Blumenerde noch Gartengeräte in den Einkaufswagen stapelten, sondern Bierkartons. Zu sehen sind nur Männer, Männer, Männer.

Jaja, lustig, dass es in dem Land, aus dem das Bier kommt, das wie das Virus heißt, jetzt dieses Bier erstmal nicht mehr zu kaufen gibt. Mexiko schafft Corona ab, um mal diesen schalen (!) Kalauer zu bemühen. 

So, das haben wir hinter uns, ab jetzt wird es ernst. So wie die Lage im deutschen Einzelhandel, und es ist die Frage, was von ihm übrig bleibt, wenn die Corona-Krise eines Tages beendet sein wird. Es erwischt ja gerade Groß (wie den Textilfilialisten Colloseum) und Klein (wie das Start-up Tausendkind) - die Taktzahl an Insolvenzen nimmt mit jedem Tag des Lockdowns zu. 

Schön groß, schön leer: Solche Hallen sind derzeit begehrt
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Logistikimmobilien

Platz da: Wie die Corona-Krise die Nachfrage nach Lagerflächen treibt

Aber die ganz große Nummer ist das Thema Galeria Karstadt Kaufhof. Rechnungen und Mieten werden nicht mehr bezahlt, und seit Mittwoch läuft für das Warenhausunternehmen ein Schutzschirmverfahren, in dem ein Star der Insolvenzverwalterszene der Generalbevollmächtigte ist: Arndt Geiwitz. Der war damals Insolvenzverwalter von Schlecker und bot in dieser Funktion am 22. Juli 2012 in Frankfurt eine denkwürdige Pressekonferenz, in der er den gescheiterten Drogeriekönig Anton Schlecker (nicht anwesend) versenkte.

"Schutzschirmverfahren" - das ist auch so eine komische Wortschöpfung, weil der Begriff ja eigentlich ein weißer Schimmel ist. Ein Schirm schützt ja grundsätzlich, vor Sonne oder vor Regen. Streng genommen müsste es daher heißen: Schirmverfahren.

Karstadt ist nun unter diesen Schirm geflüchtet. Was heißt das? "Das Verfahren hat den Vorteil, dass es keinen Makel hat. Das I-Wort, Insolvenz, taucht darin nicht auf. Faktisch ist es aber so, dass viele Verfahren nach drei Monaten in der Insolvenz enden", sagt Jan Groß, Restrukturierungsexperte in der Kölner Kanzlei Ebner Stolz in der "Süddeutschen Zeitung".

Es ist nicht verwegen, das Schutzschirmverfahren als Insolvenzverfahren mit Tarnkappe zu bezeichnen, wer GKK-Mitarbeiter, -Lieferant -oder Vermieter ist, hat jetzt nichts zu lachen. Im Handelsblatt erklärt Christoph Niering, Vorsitzender des Verbands der Insolvenzverwalter Deutschlands, sehr schön, was es mit so einem Verfahren auf sich hat. "Das Schutzschirmverfahren hat für die Gläubiger die gleichen Wirkungen wie jedes Insolvenzverfahren. Mitarbeiter bekommen Insolvenzgeld. Vermieter und Lieferanten können nicht mehr die Zwangsvollstreckung betreiben und müssen mit Forderungsausfällen rechnen", sagt er unter anderem. 

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Coronakrise

7 Sofortmaßnahmen – So läuft der Handel weiter

Lassen wir aber mal die wirtschaftsjuristischen Interpretationen weg und malen uns aus, was passieren kann, sollte GKK diese Krise nicht überstehen. Es wäre ein Debakel. Für die 26.000 Mitarbeiter, klar. Aber auch für die Innenstädte. Mögen die Warenhäuser längst an Faszination als Einkaufsdestinationen eingebüßt haben - sie bewegen immer noch genug Menschen und sorgen damit für Frequenzen in deutschen Fußgängerzonen. Davon lebt auch der Handel in der Nachbarschaft.

Punkt drei: die 173 Immobilien der Filialen. Was soll mit denen werden? Sie stünden erstmal in den deutschen Innenstädten wie alte Elefanten. Grau, unansehlich, leer. Die meisten dieser Häuser werden auf absehbare Zeit nicht mehr gebraucht, Handelsimmobilien mit drei, vier, sogar fünf Stockwerken sind heute faktisch unvermittelbar. Wer die lange verwaisten Hertie-Häuser im Kopf hat weiß, was so ein Anblick für Innenstädte bedeutet.
Vielleicht will GGK-Eigner Signa aber nicht das komplette Häusernetz stilllegen - sondern nur einige der schlechtesten Filialen. Bisher ist er ja an die im Dezember 2019 mit der Gewerkschaft Verdi getroffene Vereinbarung gebunden, die eine fünfjährige Beschäftigungs- und Standortgarantie vorsieht. Ob Signa-Chef René Benko sich daran unter dem Schutzschirm noch halten muss, ist zu klären.

Aber auch wenn es nur einige wenige GGK-Häuser sein sollten, die geschlossen werden - sie werden den Markt mit Handelsimmobilien unter Druck setzen. Denn es dürfte noch einige Insolvenzen und damit weitere Leerstände geben. Schon jetzt ist die Branche nervös. Der Immobiliendienstleister Jones Lang LaSalle hat in einer Umfrage unter Investoren ermittelt, dass 56 Prozent aktuelle Entscheidungen zu Neuanmietungen und Vertragsverlängerungen vertagen wollen. Immerhin denken drei von vier Eigentümern, dass sie ihren Mietern Zugeständnisse machen müssen, um die Krise gemeinsam zu überstehen. 

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Spezial-Dossier

Die Corona-Krise 4 – Jetzt herunterladen

Manuel Jahn, früher der Chef der Abteilung Manuel Jahn Fashion & Lifestyle und Financial Services bei GfK Geomarketing, seit 2017 Head of Business Development beim Immobilieninvestor Habona sieht die Lage so: Er prognostiziert eine beschleunigte Bereinigung der Überkapazitäten im Nonfoodhandel, ein Prozess, der schon lange vor Corona begonnen hatte. Weniger Flächennachfrage werde zu Korrekturen beim Mietniveau von Handelsflächen führen. Für die Monostrukturen vieler Innenstädte und Fußgängerzonen würde sich aber die Chance eröffnen, dass individuellere und interessantere Formate sich Lagen wieder leisten können, aus denen sie schon jahrelang verschwunden waren: "Das würde den Städten nur guttun und die Langeweile vertreiben. Warum nicht auch wieder Kleinkunstbühne und Musical, statt nur Flagshipstore und Warenhaus?" 

Business Guide

28 Seiten Ratgeber Recht: Welche Gesetze durch die Krise helfen

Seit Wochen stemmen sich die Städte gegen den Verfall ihres Handels, Lieferservices sind das Thema der Stunde. Doch auch hier gibt es Gauner, die die Gunst der Stunde nutzen wollen. Stephan Horn, Chef der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Coburg berichtet von Gaunern, die Zustelldienste versprechen - aber nur gegen Vorkasse. Naive Kunden bezahlen, doch beliefert werden sie dann nicht. 
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Was Horn auch sagt: Das derzeit populäre System der Gutscheine ist nett gemeint, aber kann sich auf lange Sicht für Händler ungünstig auswirken. Es funktioniert ja so: Kunden sollen bei Händlern Gutscheine erwerben, damit diese kurzfristig Liquidität bekommen. Nicht schlecht. Aber im Moment kauft niemand. Also bleibt beispielsweise ein Textilhändler auf seiner Frühjahrsware sitzen. Dumm dran ist er, wenn möglicherweise im Herbst die Läden wieder geöffnet werden dürfen, er sich entsprechend mit neuer Ware eindecken muss - und zig Kunden dann auf einmal die entsprechende Bekleidung haben und dafür ihre Gutscheine einlösen wollen. Faktisch verschenkt der Händler dann den Übergangspullover. 
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An Händlerrettungsinitiativen mangelt es derzeit nicht, und man fragt sich, ob es noch wirklich neue Varianten gibt. Gibt es. Seit Mittwoch ist Mia gehn online am Netz, der Speed-Dating-Variante des Versuchs, stationäre Händler ans E-Commerce anzubinden. Denn in München sollen Kleinunternehmen innerhalb von 24 Stunden digitalisiert werden. Das ist, gemessen an der Trägheit vieler deutscher Ladenbesitzer, Lichtgeschwindigkeit. 

Mehrere Online-Experten helfen hier Händlern und Gastronomen ins Netz. Damit alles quick, aber nicht dirty abläuft, ist etwa ein so starker Partner Elaboratum dabei, der Digitaltochter der BBE Handelsberatung. Schön für Händler: Das Hilfsprogramm kostet sie nichts. Getragen wird die schnelle Nummer von der Stadt München und dem Innovations- und Gründerzentrum UnternehmerTUM der Technischen Universität München. Auch ein Blick auf die anderen Projektpartner lässt aufhorchen, hier versammelt sich die Bundesliga der Digitalwirtschaft: Microsoft, Google, Ebay, um nur die Kandidaten für die Champions League zu nennen. Und hier darf dann eine Münchner Institution nicht fehlen: der FC Bayern München. Den Fußballspielern geht es ja so wie den stationären Händlern - sie können derzeit nicht viele machen, die Saison ruht. Händler handeln online, und die Bayernspieler trainieren online. 

Willkommen in der Cyberwelt.

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