Umsatzprognosen werden in die Tonne getreten, Aktienkurse stürzen ins Bodenlose. Der Textilhandel bleibt auf seiner Herbstware sitzen, weil der Sommer einfach nicht aufhören will. Ein Japaner will die Branche jetzt komplett umkrempeln. Ein hessischer Minister gibt sich unterdessen als Kämpfer gegen den Ladendiebstahl, und der Handelsverband hat noch eine positive Jahresprognose parat. Noch.
Aktuell sind alle Politiker in Bayern und in Hessen im Landtags-Wahlkampfmodus und entdecken die Sorgen von Groß und Klein. Das gilt auch für Peter Beuth. Der hessische Innenminister (CDU) hat festgestellt, dass dem Einzelhandel regelmäßig Milliarden Euro durch Ladendiebstahl verlustig gehen - und will dagegen noch stärker vorgehen. Denn, Donnerwetter, "Ladendiebstahl ist kein Bagatelldelikt", wie er nun auch feststellt, was aber sämtliche Händler und auch der Handelsverband Deutschland seit Jahren predigen.
Klauen macht Spaß, weil die Strafen lächerlich sind
Allein 2017 wurden von deutschen Kunden Waren im Wert von 2,28 Milliarden Euro geklaut, wie das EHI Retail Institute zusammengerechnet hat - das ist ein mehr oder weniger beständiger Wert. Denn den Dieben, meist bestens organisierte Banden, klauen sich deswegen durch deutsche Geschäfte, WEIL Ladendiebstahl bisher strafrechtlich eine Bagatelle ist und die Strafen lächerlich sind.Aber, Langfinger, aufgemerkt, in Hessen wartet der Beuth auf euch, und der will euch den Spaß verderben. Dass ihr es durch ihn zwischen Kassel und Heppenheim schon schwerer habt als anderswo, hat der Innenminister schonmal wahlkampfstrategisch mitgeteilt, denn die Ladendiebstahlszahlen seien in Hessen auf dem niedrigsten Stand seit einem Vierteljahrhundert.

Mal sehen, welches Wetter wir dann in Deutschland haben. Irgendwie hat man ja das Gefühl, es ist ewig Sommer, alles trocknet aus, die Wälder brennen, und wer nicht vergessen will, wie sich Regen anfühlt, stellt sich unter die Dusche.
Was für Mensch und Umwelt eine Belastung ist, wächst sich für den Modehandel zur schweren Krise aus. Gerade hat Heiko Schäfer, Chef von Tom Tailor, in der "Textilwirtschaft" von einer "großen Lücke" bei den Plan-Zahlen für August und September und der Realität gesprochen. Weil es immer noch so heiß ist, kauft halt kein Mensch ein warmes Jäckchen für den Herbst.
Herbstmodesause bei 30 Grad
Vor zwei Jahren hatte das Shoppingcenter Loop5 bei Darmstadt im September zur großen Modesause geladen, mit Livemusik, Laufsteg und Cocktails und so. Die Schaufenster der Geschäfte waren mit herbstlicher Mode dekoriert, und bei der Modenschau liefen Kinder als Models mit Bommelmützen auf den Köpfen umher. Draußen: 30 Grad, und die wenigen Besucher, die ins gekühlte Center kamen, trugen kurze Hosen und Flip-Flops - das war so grotesk wie ein Rentierschlitten auf Bora Bora.Jetzt sind wieder 30 Grad, und logischerweise kauft sich auch jetzt niemand etwas für den "Übergang", wie man früher immer so sagte. Der Modehandel hat aber die Läger voll und weiß nicht wohin mit Bommelmützen und Jacken.
Lachen Sie bitte nicht mehr über Spekulatius im September
Aber das ist auch eine Folge des unsinnigen Treibens in der Modebranche, immer früher im Jahr immer wärmere Klamotten anzubieten. Die großen Händler machen es vor, und die kleinen müssen hinterherhecheln. Es sollte kein Textilhändler mehr darüber lachen, dass es in den Supermärkten jetzt schon Spekulatius zu kaufen gibt.So lustig ist der Hitzekollaps
Wahrscheinlich sitzen Leute wie Zalando-Chef Rubin Ritter und Tom-Tailor-Chef Heiko Schäfer derzeit abends vor dem Fernseher und verfluchen den Wettermann, wenn der wieder von "herrlichen Spätsommertagen" schwadroniert. Der Frankfurter Oldiesender "Radio Harmony" hatte ja an einem Tag in der schlimmsten Hitzezeit voller Ernst "heute nur Sommerhits" gespielt. Haha, so lustig ist es, wenn die Sonne das Land ausdörrt, man demnächst mit Flip-Flops im Biergarten den Tag der Deutschen Einheit feiert und dabei seinen Kindern erzählt, was eine Bommelmütze ist. Aber wir verlieren uns in Sarkasmus und Düsternis - dabei ist die Zukunft gar nicht so schlecht. Sagt der Handelsverband Deutschland, HDE. Zumindest die Zukunft, die am 31. Dezember 2018 endet. Denn für dieses Jahr prognostiziert der Verband einen Anstieg des Branchenumsatzes um 2 Prozent auf 520 Milliarden Euro, nominal, also nach Abzug von Preiserhöhungen und Flächenwachstum, sollen es immerhin noch 1,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr sein.Hier ist allerdings ein Blick auf die Wachstumsverteilung notwendig, "denn der Online-Handel bleibt der Wachstumstreiber für die gesamte Branche", hat der HDE festgestellt. Immer mehr Geld wird im Netz ausgegeben, immer weniger in den Läden.
Stationäre können auch online. Ein bisschen.
Was nicht schlimm sein muss für die traditionelle Branche, denn ein Viertel der stationären Händler hat mittlerweile einen Online-Shop, 15 Prozent verkaufen Waren über Online-Marktplätze, hat der HDE ermittelt. "Fast jeder fünfte Betrieb verkauft über zehn Prozent seiner Waren im Internet. Fast zwei Drittel der Unternehmen rechnen mit steigenden Onlineerlösen im laufenden Jahr", sagt HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth.Nochmal zum Mitschreiben: Fast jeder fünfte Betrieb verkauft 10 Prozent seiner Ware online. Also, hüstel, das ist so, wie wenn sich zwei über den Hitzesommer unterhalten:
"Es hatte ja auch geregnet."
"So, wann denn?"
"An dem einen Mittwoch."
Wer weiß, was die HDE-Prognose noch wert ist, wenn auch im November Freibäder noch geöffnet haben, wenn Gastronomen ihre Heizpilze verschrotten, und wenn die Bommelmütze zum überflüssigsten Bekleidungsstück nach Erfindung der 7/8-Hose erklärt wird.
Rubin Ritter kann die Wettervorhersage im Fernsehen bald vielleicht nur noch angetrunken (Glühwein?) und mit einem hysterischen Lachen ertragen - es ist doch jetzt eh alles egal. Und Peter Beuth wird sagen, dass der Klimawandel keine Bagatelle ist.
Vielleicht orientiert sich der Modehandel nicht nur beim Verkauf des Herbstsortiments etwas um. "Die Bekleidungsindustrie ist obsolet geworden. Wir wollen das aktuelle Modell zerstören, um alles von Grund auf neu zu erfinden", zitiert das "Manager Magazin" Tadashi Yanai, Chef des japanischen Bekleidungskonzerns Uniqlo. Er will weg von dem irren Tempo der Branche, weg von Veränderungshysterie. Slow Fashion statt Fast Fashion. Wäre ja mal was. Weg von der gagaesken Kollektionswechselgeschwindigkeit, die dafür sorgt, dass es die Läger überquellen, wenn mal der Verkauf wegen irgendeinem Wetter- oder sonstigen Problem stockt.
Ein bisschen weniger produzieren, dafür ein bisschen teurer, bessere Löhne für die Näherinnen in Bangladesch - wäre ja auch mal ein Thema für die nächste Wahl.