Konsumenten sind heute smarte Könige. Nie war die Produkt- und Händlerauswahl vielfältiger. Hier adäquate Angebote zu machen, ist für Hersteller und Händler eine Herausforderung. Es gilt, Regeln zu beachten.

Die Zeiten, in denen Markenhersteller primär ihre Alleinstellungsmerkmalen herausstellen mussten, um bei potenziellen Kunden punkten zu können, gehen zu Ende. Für Tjeerd Brenninkmeijer, Executive VP EMEA des Digital Experience Anbieters Bloomreach, stehen wir am Beginn eines "Experience-Zeitalters". In diesem werde nur erfolgreich sein, wer sein Angebot im Hinblick auf Zeitersparnis und zusätzlichen Komfort für den Kunden verbessert.

Doch das ist leichter gesagt, als getan, unterscheiden sich doch die Bedürfnisse der Kunden, die sich nicht mehr so einfach in Zielgruppen unterscheiden lassen. Ein Beispiel: Nach Erhebungen der E-Commerce-Berater von ChannelAdvisor wollen 54 Prozent der Kunden ihre bestellten Waren binnen maximal zwei Tagen erhalten, 85 Prozent jedoch ziehen die kostenlose Lieferung der schnellen vor.

So viele Touchpoints

Weil Kunden keine identischen Profile und Wünsche haben, unterscheidet sich auch ihr Kaufverhalten abhängig von Produkten, Händlern, Kanälen. Es ist bei Beauty und Gesundheit anders als bei Spielzeug und wiederum anders bei Heimwerkerbedarf. Erschwerend kommt hinzu, dass die Zahl potenzieller Touchpoints gestiegen ist: Konsumenten können sich auf den unterschiedlichsten Wegen inspirieren lassen, sie nutzen Preis- und Produktsuchmaschinen, Bummeln durch Einkaufszentren, sehen im Fernsehen einen Werbespot, finden eine Broschüre in einem Magazin, erhalten ein Mailing. 
Service ist das Einfallstor zum Kunden
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Service ist das Einfallstor zum Kunden
Für eine Marke beziehungsweise einen Händler ist es wichtig, dann greifbar zu sein, wenn die Inspiration in einen Kaufimpuls gewandelt wird. Dementsprechend wächst die Chance, aus einem potenziellen Konsumenten einen realen Kunden zu machen, mit der Zahl der Kanäle, auf denen Händler beziehungsweise Marke präsent ist. Omnipräsenz ist Trumpf.

Zu jeder Tageszeit, an jedem Ort

In diesem Sinne bieten stationäre Händler Apps an, optimieren ihre Online-Angebote und verkaufen Produkte über ihre Social Media Kanäle. Sie wissen um die Bedeutung mobiler Geräte, dass Kunden Convenience schätzen und die Möglichkeit, heute nicht nur zu jeder Tageszeit, sondern Dank mobiler Geräte auch an jedem Ort einkaufen zu können.

"Der Kunde kann jederzeit zu einer Alternative greifen kann, wenn er mit einem Anbieter unzufrieden war."

Felix Kuehl
"Gelingt es Unternehmen, zu unterschiedlichen Zeiten und an verschiedenen Orten fünf, zehn oder auch zwanzig positive Interaktionen aneinanderzureihen, entsteht letztendlich ein positives Markenbild", fasst Brenninkmeijer die Anforderungen zusammen.

Unzufrieden? Der nächste Anbieter steht schon bereit.

Wichtig in dieser Aussage sind die beiden Worte "positive Interaktionen". Denn werden die Erwartungen von Konsumenten an den Ablauf eines Kaufs enttäuscht, bleibt das nicht ohne Folgen: "Das Angebot an Marktplätzen und Shops ist so groß, dass der Kunde jederzeit zu einer Alternative greifen kann, wenn er mit einem Anbieter unzufrieden war", weiß Felix Kuehl, Country Manager DACH von ChannelAdvisor
Auf allen Kanälen: Kundenberatung via Smartphone bei dm-Drogeriemarkt
© dm-Drogeriemarkt
Auf allen Kanälen: Kundenberatung via Smartphone bei dm-Drogeriemarkt
Wer die Möglichkeit hat, nutzt sie auch. Die Zahlen hierzu schwanken zwar, sie zu ignorieren könnte jedoch teuer werden: Nach einer Erhebung der Temkin Group haben in den USA 19 Prozent der enttäuschten Kunden danach bei der jeweiligen Marke beziehungsweise dem Händler nicht mehr gekauft, 22 haben ihre Ausgaben dort reduziert. 

Eine schlechte Erfahrung ist schon zu viel für den Kunden

Das Customer Service Barometer 2017 des Kreditkartenunternehmens American Express gibt an, dass ein Drittel der US-amerikanischen Kunden schon nach nur einem Fall von schlechtem Kundenservice einen Anbieterwechsel in Erwägung zieht. Der US CallMiner Index 2018 beziffert den hierdurch den US-Unternehmen entstehenden Verlust auf insgesamt 136 Milliarden Dollar (122 Milliarden Euro). 

Die Folgen schlechter Kundenerfahrungen sind weitreichend, sie gehen über die individuelle Reaktion hinaus. Denn heutige Konsumenten bedienen sich digitaler Ressourcen, um sich zu informieren und fundierte Kaufentscheidungen zu treffen. Sie nutzen hierbei auch Bewertungen und Urteile Dritter auf Portalen und in Sozialen Medien.

Der Einkauf startet bei Google

Eine 2018 vom Softwarehersteller Review Trackers durchgeführte Erhebung zeigt, dass in den Vereinigten Staaten fast 64 Prozent der Konsumenten vor einem Kauf Rezensionen und Besprechungen via Google recherchieren, 45 Prozent nutzen Yelp, 30 Prozent Trip Advisor. Dieses Kundenfeedback ist sehr einflussreich: 94 Prozent bejahten die Frage, ob ein negativer Kommentar sie vom Kauf abgehalten habe.

Das ändert nicht nur die Rolle von Verkäufern: "Heute wird die Wahrnehmung von Marken sehr viel stärker von Konsumenten beeinflusst, als von den Marken selbst", laute der Befund von Review Trackers-CEO Chris Campbell.

Mehr Service wird mit Kaufbereitschaft belohnt

Konsumenten haben Macht und Einfluss gewonnen – und werden sie nicht mehr zurückgeben. "Und die Kunden werden dabei immer anspruchsvoller", umreißt ChannelAdvisor-Mann Kuehl die Entwicklung: die Messlatte für eine hervorragende Customer-Experience werde immer höher gelegt. 

"Heute wird die Wahrnehmung von Marken sehr viel stärker von Konsumenten beeinflusst, als von den Marken selbst."

Chris Campbell
Wer diese überspringt, wird belohnt. Laut American Express sagen sieben von zehn US-Konsumenten, dass sie bei Unternehmen, die großartigen Service liefern, mehr Geld ausgeben. Service und die Priorisierung der Kundenbedürfnisse bilde für große und kleine Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil von wachsender Bedeutung. Denn Kunden, die nach dem Kaufabschluss eine durchgängig positive Erfahrung machen, behalten die Marke in guter Erinnerung – und kommen gerne wieder.

Erst der Stammkunde sorgt für gute Geschäfte

Kundenzufriedenheit kann nicht hoch genug bewertet werden, zeigt eine Studie des Softwareunternehmens Adobe. Hierfür wurden in den USA und Europa anonymisierte Daten von Besuchern in 180 Onlineshops analysiert. Obgleich Wieder- und Stammkäufer nur 8 Prozent des gesamten Besucheraufkommens in den USA darstellten, sorgten sie dort für 40 Prozent des Umsatzes. 

Nimmt man das Kriterium "Umsatz pro Besuch" (Revenue per Visit, RPV), also den durchschnittlichen Umsatz, den Besucher pro Website-Besuch generieren, zeigt sich die extrem große Bedeutung von Stammkunden in Europa: Der RPV sei bei Wiederkäufern dreimal höher als bei Erstkäufern, bei Stammkäufern sogar siebenmal höher.

Kenne deine Kunden

Um Kunden zu Stammkunden zu machen, bedarf es einer personalisierten Ansprache, sagt Kai Hudetz, Geschäftsführer der Marktforschung und Beratung beim Institut für Handelsforschung Köln: "Kunden individuelle Angebote zu schneidern, bindet diese langfristig. Händler sollten deshalb die Customer Journey kennen und wissen, an welchen Touchpoints ihre Kunden mehr Service erwarten." Die Möglichkeiten hierzu haben die Unternehmen, sie müssen nur ihre Daten auswerten: Kundenbedürfnisse lassen sich aus Kaufhistorie, Angaben zum Umtausch und Reklamationen oder aus Anfragen herausfiltern.  Die Einschätzung wird durch Zahlen von Accenture gestützt: 91 Prozent der Konsumenten sind eher geneigt Marken von Herstellern zu kaufen, die relevante Angebote und Empfehlungen erkennen, erinnern und liefern. Markenhersteller müssen weg von Kommunikation hin zu Dialog und Gespräch, empfiehlt Accenture in seinem Personalization Pulse Check 2018.

Die Bedürfnisse müssen auf allen Kanälen befriedigt werden

Dass die Umsetzung nicht auf E-Commerce beschränkt sein muss, zeigt ein Projekt von Fjord, der Design- und Innovations-Abteilung von Accenture Interactive. In Zusammenarbeit mit einem Supermarkt für Bio-Lebensmittel wurde nach Wegen gesucht, einen lebendigen digitalen Dialog mit Kunden zu führen. Mittels Voice und Augmented Reality wurden die für ein Massenpublikum eingerichteten Läden zu Orten umgewandelt, in denen Kunden individuelle, ganz persönliche Kauferlebnisse ermöglicht werden.

Das Experience-Zeitalter hat begonnen. Wenn Unternehmen nicht in der Lage sind, Kundenbedürfnisse durchgängig online und offline umfassend zu erfüllen, werden sie geschäftlich verlieren, im schlimmsten Fall alles. Mangelnde Anpassung an Markterfordernisse haben immer wieder Marken zu Fall gebracht, der Bankrott von des Spielwarenhändlers Toys R Us vor zwei Jahren war nicht zuletzt auch Folge der sträflichen Vernachlässigung des Webs.

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